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Ljudewit Gaj und der Illyrismus

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Textdaten
Autor: Ernst Eduard Kunik
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Titel: Ljudewit Gaj und der Illyrismus
Untertitel:
aus: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843), S. 15-20
Herausgeber: J. F. Jordan
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: Robert Binder
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Scans auf Commons
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2. Ljudewit Gaj und der Illyrismus.

Kein Stamm der Slawenwelt hat sich in so viele einzelne Zweige gegliedert, als der illyrisch-serbische, oder, wie er jetzt von gewissen Seiten schlechtweg genannt wird, der illyrische. Im Laufe[WS 1] der Zeit hatten in den Gebieten, welche von diesem Stamme bewohnt werden, mehr als zehn verschiedene Volks- und Landestheile eine gewisse nationale Selbständigkeit errungen, die freilich mehr oder minder fremdem Drucke und Einflusse ausgesetzt war. So waren die illyrischen Slawen in Steyermark und Kärnthen frühzeitig unter deutsche Oberherrschaft gekommen, welche namentlich von den Gränzen und den grösseren Städten aus zersetzend auf ihr nationales Wesen einwirkte. Fester hielt das stammverwandte Krain an seiner slawischen Eigenthümlichkeit. Ein ganz anderes Geschick traf Croatien, Slawonien und das mit ihnen innig verbundene Gebiet der Militairgrenze. Das alte Croatenreich unterlag früh dem Andrange Ungarns, während die slawischen Bewohner in Dalmatien und in einem kleinen Gebiete des heutigen Oberitaliens italienische Civilisation annahmen. Diese vernichtete in den zwanzig slawischen Stadtgemeinden in Dalmatien jeden Ansatz zu einem Bundesstaate. In Serbien und Bosnien und den ihnen benachbarten Gebieten schien im XIV. Jahrhunderte sich eine slawische Schwerkraft bilden zu wollen. Da legte der Muhamedanismus sein hartes Gebot den Christen in der Bolgarei und Serbien auf. Nur Montenegro beugte seinen Nacken nicht unter das türkische Joch, sondern eröffnete den Freiheits- und Glaubenskampf der christlichen Südslawen. Zahlreiche Schaaren von Serbiern gewannen unter Ungarns Schutze und auf ungarischem Boden ein friedlicheres und glücklicheres Dasein; ein anderer Theil des Serbenstammes erkämpfte sich in diesem Jahrhunderte seine Unabhängigkeit und harrt der Zeit, wo er Bosnien dem Halbmonde entreissen könnte, mit Ungeduld entgegen.

Der politischen Zerrissenheit dieser illyrischen Slawen entspricht, und zwar in einem noch höheren Grade, die religiöse. Kärnthen, Krain, Steyermark wurden mit dem Christenthume von Deutschland aus bekannt; von hier aus erhielten sie später die Reformation, in deren Gefolge ein geistiger Aufschwung die Gemüther beseelte. Allein dem Fanatismus des XVI. und XVII. Jahrhunderts gelang es, die „Ketzereien“ in ihnen wieder auszurotten, und nun sind sie bis auf geringe Ueberreste wieder katholisch. Slawonien, Kroatien, Dalmatien gaben früh das griechische Glaubensbekenntnis auf und nur geringe Trümmer in Croatien und Dalmatien bezeugen seine frühere Herrschaft. Die Reformation fand wohl in Kroatien viele begeisterte Anhänger, aber auch bald ihren Untergang. In Bosnien und Serbien hat die griechische Kirche sich gegen alle Bekehrungsversuche der katholischen Priester behauptet und nur der Muhamedanismus hat ihr einige Tausende von Anhängern entzogen. Die ungarischen Serben haben sich in zwei kirchliche Richtungen geschieden: die Einen sind der griechischen Kirche zugethan geblieben, die Andern haben sich der griechisch-unirten zugewandt.

Mit der religiösen Spaltung ging auch die literarische Hand in Hand. Eine gemeinsame illyrische Schriftsprache hat es bis auf die neueste Zeit nicht gegeben; sondern es hatten sich bei den Illyro-Serben nach und nach gegen zwanzig mundartliche Nüancen ausgebildet. In dem grössten Theile derselben wurde auch geschrieben und gedruckt, so dass die bunteste Reihe von Winkelliteraturen entstand. So gab es eine windo-slowenische vor und nach der Reformation in dem eigentlich sogenannten Illyrien; neben ihr ging eine kroatische einher und unabhängig von ihr entwickelte sich die reichhaltige dalmatinische namentlich im Laufe des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Die griechischen Serben blieben auch nicht geistig todt und suchten seit dem vorigen Jahrhundert wieder eine Nationalliteratur ins Leben zu rufen. Da jede von diesen kleinen Literaturen auf eine selbständige Entwicklung Anspruch machte, so konnte natürlicher Weise keine ein allgemeines Interesse unter der Hauptmasse der illyrischen Slawen erregen. Schon die Verschiedenheit des Alphabets liess ein solches nicht leicht aufkommen. Die Windo-Slowenen schrieben und druckten abwechselnd in lateinischer und deutscher Schrift; in Kroatien und Slawonien hatte sich eine lateinische Schreibweise Geltung verschafft. Neben ihr war im kroatischen Küstenlande die glagolitische Schrift, eine Verstümmelung der kirchenslawischen, in Gebrauch gekommen, während in Dalmatien noch lateinische und russische Schrift sich bis auf die Gegenwart kreuzen. Nur die Serben behielten die ächt slawische Kirchenschrift bei und verstanden sich, so wie die Bolgaren erst in der neuesten Zeit, zur Annahme des russischen Alphabets.[1]

So vielfach war der Stamm der Illyro-Serben gesondert und zerfallen! Nur ein Band hielt die getrennten Glieder zusammen. Es war die gemeinsame Sprache. Mit dem Beginn einer höhern Sprachforschung unter den Slawen musste sich unwillkürlich die Ueberzeugung aufdringen, dass alle jene Mundarten und Untermundarten der Illyro-Serben im Wesentlichen ein und dieselbe Sprache ausmachen. Es kam nur darauf an, diese Ansicht ins Leben einzuführen, um so auch die einzelnen Winkelliteraturen zu einer gemeinsamen Literatur zu erheben. Diess erkannte als seine Aufgabe der Croat Ljudewit Gaj.

Gaj gehört unstreitig zu den bedeutendsten und interessantesten Männern im heutigen Slawenthum. Wir wissen von seinen äusseren Lebensumständen nur wenig, es ist diess auch für unsern Zweck von keinem grossen Belange. Seine Geburt fällt etwa in die Zeit, als Napoleon die ihrer Hauptbevölkerung nach slawischen Provinzen Kärnthen, Krain, Istrien, Görz und das Triester Küstenland von Oesterreich losriss und ihnen den alten Namen „Illyrien“ gab. Die Erziehung des jungen Gaj fiel schon in friedlichere Zeiten und wurde unter den Augen einer liebevollen Mutter geleitet. Sie, welche mit flammender Liebe an Allem hing, was ihrem Volke theuer und national ist, hat auf die Gesinnung und das ganze Wesen ihres Sohnes einen entschiedenen Einfluss geäussert. Noch heute spricht derselbe mit frommer Rührung davon, wie sie ihn für die Bahn vorbereitet habe, die er sich später auserwählte. Unterstützt von herrlichen Anlagen musste es dem jungen Gaj leicht werden, sich schon in seiner Heimath mit deutscher Bildung zu befreunden. Ein längerer Aufenthalt auf österreichischen und deutschen Universitäten gab dem in der Heimath erworbenen geistigen Kapital eine höhere Weihe. In sie kehrte er als Doctor der Rechte mit feiner Menschen- und Völkerkenntniss bereichert zurück. Es war dies in jener Zeit, als einerseits die Magyaren sich fest vornahmen, allem Slawischen innerhalb ihres Landes den Krieg bis zur unbarmherzigsten Vernichtung zu führen, und die Staatsregierung mit sichtlichem Wohlgefallen die Bestrebungen derselben unterstützte, als aber auch anderseits die Böhmen bereits zu einer klaren Einsicht in die Weise gekommen waren, wie sie die Wiedergeburt ihres Vaterlandes zu betreiben hätten, und allmählig zu ahnen anfingen, welchen Beruf ihnen die Weltgeschichte auferlege. Alle diese Gährungen und Verhältnisse hatte Gaj mit seinem scharfen Blicke an Ort und Stelle würdigen gelernt; er hatte sie im ersten Momente als die Vorboten künftiger, verhängnissvoller Ereignisse erkannt; es war ihm klar geworden, dass auch sein Geburtsland und der Stamm, dem er angehörte, mit oder ohne Willen in diesen Gährungsprocess hineingezogen werden würde. Das Beste schien ihm, selbst die Initiative zu ergreifen und die Erweckung seiner Landsleute vom langen Schlummer durch geistigen Einfluss auf literarischem Wege zu erzielen. Es galt dem Traum des Jünglings im Mannesalter Leben und Gestalt zu geben.

Alles hing davon ab, wie Gaj selbst sich seines Strebens bewusst geworden war. Er wusste, was er wollte und kannte die Gemüther seiner Landsleute. Auf sie musste schon seine äussere Gestalt, sein hoher und schlanker Wuchs, die feste Willenskraft, die sich energisch und ernsthaft auf seinem Gesicht ausdrückt, die aus seinen Augen auflodernde Begeisterung, sobald es sich um nationale Interessen handelt, den stärksten Eindruck machen, und namentlich musste der unaufhaltsam aber zugleich würdevoll und gemessen dahinströmende Fluss seiner Rede ihm die eines höhern Gedanken Fähigen seiner Stammgenossen, vorzüglich aber die junge Generation zuwenden. Unverzagt und entschlossen warf er selbst, ihnen zum Beispiel, die aristokratischen und religiösen Vorurtheile ab, unter denen er aufgewachsen war. Zuvörderst war es ihm nur darum zu thun, eine Zeitschrift in der Nationalsprache zu begründen. Als Croat hatte er sich desswegen an die ungarischen Behörden zu wenden, welche den Wünschen des Bittstellers natürlich nicht entgegen kamen. Da wandte sich der kaum fünf und zwanzigjährige Literat an den Kaiser Franz, der ihm in einer Audienz die nöthige Vollmacht ertheilte. Ohne Verzug richtete Gaj in Agram eine Nationalbuchdruckerei ein. Die Zeitung erschien anfangs in der Mundart von Provincialcroatien und als „croatische Nationalzeitung“, wurde aber nach wenigen Monaten in die „illyrische Nationalzeitung“, und das literarische Beiblatt in den „illyrischen Morgenstern“ umgetauft. Zugleich ging die Sprache dieser Blätter allmälig in den Dialekt über, wie er vorzugsweise in Dalmatien, dem Gränzlande, und Bosnien gesprochen wird und in der sogenannten dalmatinischen Literatur zur Schriftsprache erhoben und ausgebildet worden ist. Eine den slawischen Lauten und dem kyrillischen und russischen Alphabet analoge lateinische Orthographie gab auch äusserlich der Sprache ein geschmackvolleres, wenn gleich anfänglich befremdendes Gewand.

Die Vertauschung des Namens war ein kühnes Wagstück; sie konnte das ganze Streben Gaj’s ins Lächerliche wenden. Er gab seine Erklärung dahin ab, dass der slawische Stamm der Illyrer, Croaten und Serben, welcher eine, nur durch geringe mundartliche Verschiedenheiten bezeichnete gemeinsame Sprache besitze, auch eine gemeinsame Literatur mit einem gemeinsamen Namen aufbauen müsse, wenn er nicht geistig und moralisch verwittern wolle. Um dem Namen „illyrisch“ seine Fremdartigkeit zu benehmen, berief er sich darauf, dass die alten Illyrier, welche zum Theil in den Ländern der heutigen Südslawen ihre Wohnsitze hatten, Slawen gewesen wären. Mit grösserem Recht konnte er ferner sich darauf berufen, dass heute wenigstens ein Theil der Südslawen den Namen Illyrier führt und besonders, dass im Mittelalter und den folgenden Jahrhunderten „illyrisch“ öfter von den meisten jener Slawenstämme gebraucht wurde. Solche Erklärungen führten wohl dem aufgehenden Illyrismus zahlreiche Anhänger und Schwärmer zu, konnten aber nicht die Gegner desselben gewinnen.

Zu ihnen gehörten und gehören vorzugsweise die Magyaren, denen der Illyrismus von seinem Entstehen an ein Dorn im Auge war, da er nicht nur ihren nationalen Grausamkeiten gleich kühn entgegen trat, sondern ihnen auch Besorgniss wegen der Zukunft einflösste, namentlich weil er ihnen den Weg nach dem adriatischen Meere und dem sogenannten ungarischen Hafen zu versperren drohte. Man hat daher magyarischer Seits alle erdenklichen Mittel angewendet, um die Flamme des Illyrismus zu ersticken. Anfangs glaubte man ihn zu beseitigen, wenn man den Begründer desselben, Ljudewit Gaj, zu gewinnen vermöchte. Die magyarischen Magnaten liessen es an Lockungen und Versprechungen nicht fehlen. Sie machten Gaj, als er einst mit ihnen zusammenkam, in freundlichem Tone darüber Vorwürfe, dass er den croatischen Namen vernichte, und boten ihm jede Förderung seiner Zwecke an, wenn er blos für Croatien, nicht aber für den Illyrismus thätig sein wolle. Von diesem können sie nichts Gutes erwarten; sie besorgen, dass einst, wenn die ungarischen Slawen mit den Magyaren den unvermeidlichen Kampf auf Leben und Tod beginnen werden, die kriegerisch gesinnten und schon jetzt schlagfertig dastehenden Slawen der Militairgränze ihren Brüdern in Ungarn zu Hülfe eilen möchten. Darum suchten auch die Magnaten Gaj’s Wirksamkeit in den Augen der ungarischen Regierung zu verdächtigen, indem sie ihn beschuldigten, dass er den Russen in die Hände arbeite. Ihm aber nöthigten solche Verläumdungen keine Vertheidigung ab, sondern er trennte sich von ihnen mit den Worten: „Ihr Magyaren seid nur eine Insel auf dem slawischen Ocean, überstrengt Ihr Euch zu sehr, so werden Euch die Wellen desselben bedecken.“ Wir lassen es dahin gestellt sein, ob diese Worte nicht etwas poetisch klingen, und bemerken nur, dass Gaj, obgleich er, so wie andere angesehene Slawen in Ungarn, kaum seines Lebens vor den Magyaren sicher ist, doch diesen selbst die grösste Anerkennung als frischen, thatkräftigen Naturen zollt. In der jüngsten Zeit scheinen die Magyaren zu der Einsicht gekommen zu sein, dass Croatien und die ihm stammverwandten Länder sich nie zur Magyarisirung bequemen werden. Wenigstens gestehen sie ein, dass Gaj’s Bedeutsamkeit von Tag zu Tage wächst und dass die von ihm ausgegangene Idee von selbst immer weiter um sich greift.

Ganz andere Hindernisse traten dem Streben Gaj’s in seiner Heimath und unter den ihr zunächst wohnenden Stämmen entgegen. Die Aristokratie in Croatien und Slawonien sah in dem Illyrismus zugleich ein demokratisches Element, das ihren Vorrechten einst den Todesschlag beibringen möchte. In der That haben sie dieses zu erwarten, wenn nicht, wie es den Anschein hat, die heranwachsende junge Generation des illyrischen Adels ihren Beruf besser erkennen wird. In Krain, Kärnthen und Steyermark hatte der Illyrismus ausser manchen andern Hindernissen noch eine unglaubliche geistige Trägheit und Dumpfheit zu überwinden; indessen hat auch hier die neue illyrische Schreibweise in den letzten Jahren mehrere Freunde gefunden und weitere, wenn auch noch unbedeutende, Regungen veranlasst. Dalmatien wollte lange keinen Antheil an dem geistigen Wiederaufleben des illyrischen Volksstammes haben, bis einzelne Köpfe erst in der neuesten Zeit die hohe Bedeutung desselben erkannten. Als Gaj im vorigen Jahre nach Ragusa kam, bewies ihm die gebildete Bevölkerung auf das Lebhafteste, wie man sein Wirken einer dankbaren Anerkennung zu würdigen wisse. Während aber in den eben angeführten Ländern die Idee des Illyrismus unaufhaltsam, wenn auch langsam, die Gemüther ergreift, findet sie in den Serben in der Türkei und Ungarn die halsstarrigsten Bekämpfer. Sie wollen ihren Nationalnamen nicht gegen einen andern opfern, der ihnen nur als Phantom erscheint. Die eifrigsten Bemühungen Gaj’s sind hier gescheitert; doch lassen gewisse Umstände, die hier nicht weiter angedeutet werden sollen, nähere Verständigung zwischen den Illyriern und Serben voraussehen. Bereits hat der bekanntlich durch geistige Bildung hoch über seinem Volke stehende Wládyka von Montenegro seinen Seherblick auf den Illyrismus gerichtet, so wie auch Gaj mit grosser Begeisterung von der nationalen Gesinnung dieses Slawenfürsten spricht. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Bewegungspartei in Serbien, welche unlängst ans Ruder gekommen ist, ganz im Geiste der Illyrier handelt und mit ihnen in einem innigen Vernehmen steht.

In welcher Stellung steht aber Gaj zu der österreichischen Staatsregierung, da seine Wirksamkeit nicht blos auf einige Hitzköpfe, nicht einmal auf einige Tausende, sondern auf mehrere Millionen österreichischer Unterthanen mittelbar und unmittelbar sich erstreckt? Wer Gaj nur nach gewissen Berichten und einzelnen Handlungen beurtheilen würde, möchte leicht verleitet werden, ihn für einen gemeinen Agitator anzusehen. Dieser Vorwurf kann ihn nicht treffen. Schon das Vertrauen, das die österreichische Regierung bei seinem ersten Auftreten in ihn gesetzt hat, beweist, dass sie ihn eher für einen Ehrenmann, als für einen verschlagenen und ränkeschmiedenden Aufwiegler hielt. Auch hat sie ihm später bei verschiedenen Gelegenheiten zu erkennen gegeben, dass sie seine Verdienste um die Veredlung der illyrischen Slawen zu würdigen sich berufen fühle; ein kostbarer Ring, welcher ihm huldreichst von dem jetzt regierenden Kaiser zum Zeichen der Anerkennung seines Strebens verliehen wurde, beschämte seine Feinde, die ihn so gern gestürzt hätten. Magyaren und Deutsche hatten sich hierin getäuscht. Allerdings muss in Gaj’s Brust eine gewisse Antipathie gegen das deutsche Wesen ruhen; sie erklärt sich einem unpartheiischen Beobachter der Vergangenheit und Gegenwart sehr leicht. Er weiss es, was der Volksstamm, dem er angehört, Gutes und Böses von den Deutschen genossen hat, und es gereicht ihm zur Ehre, dass er bei mehreren Gelegenheiten den in Folge früherer Ereignisse tief eingeprägten Hass seiner Landsleute gegen Deutsche zu zügeln verstand. Ihm ist ferner deutsche Bildung und deutsche Geisteskraft kein Gegenstand der Verachtung; nur wird es Jeder mit den dortigen Verhältnissen einigermassen Vertraute sehr natürlich finden, wenn er weder zur Magyarisirung, noch zur Germanisirung seiner Stammgenossen die Hand bietet. Auch scheint die österreichische Regierung immer mehr zu der Einsicht zu kommen, dass die Zeit vorüber ist, wo gewaltsame und hinterlistige Maassregeln ein Volk seiner Nationalität berauben konnten. Das Slawenthum hat Front gemacht gegen das Deutschthum und scheint demselben von allen Seiten ein dreistes, wohl zu selbstgenügsames „Bis hierher und nicht weiter“ zurufen zu wollen. So mag vielleicht auch Gaj denken. Es hängt nun von der österreichischen Regierung ab, den sich gestaltenden Umschwung der Dinge so zu benutzen, wie es eines christlichen Staates, welchem nationaler Fanatismus eben so wie religiöser als sündhaft erscheinen muss, würdig ist. In der jüngsten Zeit hat Oesterreich einige Schritte gethan, um die ihm oft abgesprochene Deutschheit seiner Gesinnung öffentlich an den Tag zu legen. Woher kommt eine so plötzliche Umwandlung der Gesinnung in dieser „Welt für sich“? Ist sie das Ergebniss einer reinen Begeisterung für die herannahende Einigung der deutschen Stimme oder haben äussere Motive sie hervorgerufen? Die Frage bleibe hier absichtlich unbeantwortet; nur so viel sei angedeutet, dass jene magyarischen und slawischen Stimmen, welche gern nach einigen Decennien den österreichischen Staat aus seinen Angeln gehoben sehn möchten und sein Zerfallen als unfehlbar ansehen, wohl etwas zu vorlaut sind. Oesterreich hat, wenn es überhaupt einer Rettung vor seinen Magyaren, tschechischen, russinischen und illyrischen Slawen bedarf, dieselbe in dem innigen und aufrichtigen Anschliessen an die sich bildende deutsche Nationalgesinnung, keineswegs aber in gewissen politischen Kunstgriffen.

Von hoher Wichtigkeit für das künftige Geschick des illyrischen Slawenstammes ist auch das weitere Verhalten Oesterreichs zum Deutschthum. Von einer Germanisirung der iliyrischen Slawen können nur noch solche träumen, welche weder mit dem zähen Wesen der Slawen, noch mit dem, was jetzt unter ihnen vorgeht, hinlänglich vertraut sind. In eine ganz untergeordnete Stellung können sie schwerlich bei dem künftigen Nationalitätenkampfe herabgedrückt werden. „Ganz Illyrien wimmelt von gewappneten Männern“, sagte unlängst der wohl unterrichtete Fallmerayer, und die slawischen Küstengebiete des adriatischen Meeres könnten leicht ein Zankapfel werden, um den Magyaren und Slawen, – oder auch Deutsche sich zu streiten haben werden. Regt sich doch selbst in Triest wieder das slawische Leben, das, wenn es sich auch zu keiner slawischen Universalmonarchie gestalten will, doch von Tage zu Tage in seinen einzelnen Repräsentanten immer entschiedener sich zu gemeinsamer Gesinnung erhebt. Allerdings wächst dabei der oft so lächerlich sich aufspreitzende Uebermuth der überspannten Partei der Slawen, die namentlich auch bei den Illyriern zu finden ist. Solche und ähnliche Richtungen strafen sich selbst, mögen sie gegen das deutsche oder ein anderes Element gerichtet sein. Thörichter Wahn aber auch ist es, von der Begeisterung und der gemeinsamen Gesinnung der aufgewachten Slawenwelt nur geringfügige und vereinzelte That zu erwarten, und noch unkluger und kurzsichtiger, sich mit ihr anders, als auf dem Wege der Humanität vertragen zu wollen. –

E. Kunick. 

  1. Uebrigens haben neuere Forschungen gezeigt, dass Peter der Grosse nicht der Erfinder des heutigen russischen Alphabets sein kann, wie man gewöhnlich annimmt; vielmehr sind schon am Ende des 17ten Jahrhunderts in einer slawischen Stadt unweit des adriatischen Meeres Bücher mit russischen (den sogenannten bürgerlichen) Lettern gedruckt worden. Die unausgesetzten Beziehungen, in welchen Peter der Grosse, namentlich wegen seiner Pläne auf Constantinopel, zu den Südslawen stand, scheinen ihm zur Verpflanzung des vereinfachten kirchenslawischen Alphabets nach Russland Veranlassung gegeben zu haben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Lanfe