Nach Mekka!

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Autor: C. v. N.
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Titel: Nach Mekka!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 26–28
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Nach Mekka!


Der Auszug der Pilger in Kairo.


Gewiß haben viele Leser der Gartenlaube in der Wiener Weltausstellung das großmächtige vom Vicekönig von Aegypten angekaufte Bild des Florentiners Ussi gesehen, den Ausgang der Pilger nach Mekka darstellend. Niemand wird dem italienischen Maler nachsagen können, daß sein Bild nicht trefflich gemalt, das Wesentliche dieses charakteristischen Zuges nicht in bunten, reichen Farben auf der Leinwand wiedergegeben sei, doch giebt diese Darstellung von der Wirklichkeit keinen klareren Begriff als ein Wassertropfen von der ungestümen See mit ihren windgepeitschten Wellen, dem Getöse ihrer Brandung, ihrem Sausen und Brausen. Man muß dieses merkwürdige Fest vom Anfang bis zum Ende durchgemacht haben, man muß wissen, daß die fanatischen Söhne Mohammed’s in ihrer religiösen Verzückung gleich Riesen heulen und mit solcher Riesenkraft auf Pauken und Trommeln schlagen, daß die Fenster der Häuser klirren, man muß wissen, daß sie jauchzen und beten, jubeln und stöhnen, daß sie die tollsten Sprünge aufführen, all Das muß man wissen, um sich von diesem eigenthümlichen Feste einen Begriff machen zu können.

Es ist über dieses größte und merkwürdigste Fest Kairos schon Manches geschrieben worden, allein ich habe noch in keinem Buche, selbst nicht in der unübertrefflichen Lane’schen Schilderung ägyptischen Lebens, den ganzen Hergang der Feier gelesen, wodurch dem fremden Leser das Verständniß derselben ermöglicht würde. Ehe ich in dieses Land kam und sah und forschte, hatte auch ich durch all die vorhandenen Schilderungen von der Mekka’schen Pilgerfahrt einen ganz verwirrten Begriff bekommen. Ich will sie den Lesern der Gartenlaube jetzt schildern, wie ich sie gesehen habe.

Jedem Mohammedaner ist bekanntlich als Religionsgebot vorgeschrieben, ein Mal im Leben nach Mekka zu pilgern. Dort, im heiligen Tempel von Haram, steht die Kaabah, jenes anfangs durch die Engel dem Throne Allah’s nachgebaute, später durch Adam, Abraham und verschiedene Khalifen und Sultane restaurirte heilige Gebäude. Die Muselmänner erzählen, daß die Kaabah einst eine große Lücke hatte, welche auszufüllen Abraham nicht vermochte, so daß ihm der Herrgott zu Hülfe kam, indem er ihm durch den Erzengel Gabriel einen großen schwarzen Stein sandte, der gerade in besagte Lücke hineinpaßte. Der Stein, welcher heute an der südlichen Ecke der Kaabah eingemauert ist, soll noch immer der gottgesandte sein, allein bei all den geschichtlich bekannten Restaurationen und Wiederaufbauten dürfte wohl von den sämmtlichen Steinen, welche jene ehrwürdigen Herren im grauesten Alterthum aufhäuften, auch kein einziger mehr vorhanden sein. Wie Dem auch sei, so ist doch die Kaabah für jeden Muslim der heiligste Fleck der Erde; dorthin richtet er beim Gebet seinen Blick.

Die Monate der Wallfahrt sind gemäß der Vorschrift die drei letzten des Jahres, das heißt Schewwal, Dsulkade und Dsulhedsche. Indeß ziehen viele Pilger vor, den Ramadhan, nämlich den Fastenmonat, der vor den ersten der drei genannten fällt, in den heiligen Städten von Mekka und Medina, in welcher letzteren der große Prophet begraben liegt, zuzubringen. Viele langen daselbst auch in den drei dem Fastenmonat vorhergehenden Monaten an, so daß die Zeit der Pilgerfahrt eigentlich einen Zeitraum von sieben Monaten umfaßt.

Der Auszug der Pilger findet aber in Kairo immer an einem bestimmten Zeitpunkt statt, nämlich vom zwanzigsten bis fünfundzwanzigsten Schewwal, dem zehnten Monat der mohammedanischen Zeitrechnung. Mit diesem Auszug hängt die Sendung der jährlich zu erneuernden, den heiligen Grabmälern und der Kaabah bestimmten Ueberzüge und Decken zusammen, die in Kairo auf Kosten der Regierung verfertigt und alle Jahre mit Kanonen und Cavallerie nach Mekka und Medina gesandt werden. Diese Cavallerie, aus vierhundert Mann bestehend, wird von der Regierung das ganze Jahr hindurch lediglich darum unterhalten, daß sie jährlich diesen heiligen Decken durch die Wüste das Geleit gebe, freilich eine vierzig Tage dauernde saure Arbeit, während welcher viele Pferde umkommen und auch zuweilen die Reiter.

Besagte Decken sind sämmtlich aus schwerem schwarzem Brocate, mit goldenen Arabesken in hohem Relief ausgeschmückt und mit farbigem Tuche benäht, auf welches wieder goldene Koransprüche gestickt sind. Diese Stickereien beschäftigen etwa hundert eigens dazu angestellte Schneider vollauf sieben Monate; diese müssen die Arbeit dem Gouverneur der Stadt in den ersten Tagen des Monats Schewwal vollendet überliefern.

Zunächst werden die gestickten Decken in einem Saal des Regierungsgebäudes ausgehängt. Priester müssen die Nacht hindurch in diesem Gemach beten. Es ist dies eine geisterhafte Ceremonie, die bis auf diesen Tag exclusiv islamisch war, indeß jetzt, und zwar auf Antrieb des Vicekönigs, der seinem intoleranten Volke etwas Toleranz einbleuen möchte, einen Christen als Beobachter geduldet hat. Und dieser Christ war ich.

Die Feier fand in einem geräumigen, länglichen Gemache statt, um welches ringsherum weiche Kissen lagen. Längs den mit den goldenen Decken behängten Wänden der einen Hälfte des Gemachs saßen die Eingeladenen mit gekreuzten Beinen, in der anderen Hälfte, welche ein persischer Teppich schmückte, kauerten die Priester. In der Mitte des teppichbedeckten Raumes steht eine Art Katafalk, dem Grabmal Abraham’s bestimmt, durch einen brocatenen, mit den zierlichsten Stickereien in Gold ausgestatteten Ueberzug bedeckt; derselbe war von vier Riesenkerzen, die ein flackerndes, unstetes Licht auf die Versammlung warfen, umgeben.

Jetzt stimmt einer der Priester einen Koranspruch an; er singt ihn nach üblicher Weise, mit klagender, auf gewissen Noten lange anhaltender Stimme; dabei wiegt er den Leib unausgesetzt hin und her, was in den Pausen besonders unheimlich aussieht.

Den Eingeladenen wurde nach Landessitte duftender Mokka in niedlichen Schalen gereicht, auch die Priester genossen von demselben, wie ich überhaupt bemerkte, daß diejenigen, welche mit dem Beten nicht gerade beschäftigt waren, gar nicht der Welt entrückt zu sein schienen und unter einander gar munter plauderten. Sobald der eine mit seinem Spruch fertig war, fing gleich ein anderer Beturbanter zu singen an, und zwar noch klagevoller als der Vorhergehende, gleichsam als ob er die Steine mit seinem Gesange rühren wollte.

Unten im Hofe ließ ein Scheich seinen Derwischen den sogenannten Zikr beten, ein Gebet, das mir jenes Kinderspiel in’s Gedächtniß rief, bei welchem Eines voranmarschirt und allerlei dumme Bewegungen macht, welche die ihm in der Reihe Nachfolgenden genau nachahmen müssen. Der Scheich befiehlt nämlich seinen umstehenden Getreuen, zu springen, zu kreiseln, den Kopf nach hinten oder vorn, links oder rechts zu werfen, wozu der Name Gottes gebrüllt werden muß. Ich glaube nicht, daß ein Mensch jemals mehr entwürdigt aussehen kann, als wenn er den Zikr betet. Die von Minute zu Minute rascher und gewaltsamer werdenden Bewegungen und das unaufhörliche Allahrufen haben eine berauschende Wirkung, die sich durch Stöhnen, Röcheln und Schnauben Luft macht; der Schaum tritt an die Lippen … Es war ein empörender Anblick, bei welchem dieselbe Wehmuth über mich kam, welche mich einst im Irrenhaus zu Reggio beschlich.

Am darauf folgenden Morgen brachte man die Decken mäuschenstill, um kein Aufsehen zu machen, durch Seitengäßchen in die Citadelle. Von dort aus müssen sie unter großem Gepränge in die Moschee Hassanin transportirt werden. Um acht Uhr Morgens und schon vorher waren alle die Straßen, durch welche der Zug kommen sollte, die Dächer der Häuser, die Fenster der Kaufläden von Menschen dicht angefüllt. Unter Kanonendonner wand sich der Zug aus der Citadelle heraus. Nach einer unabsehbaren Linie von Militär kamen die vier Theile des Kaabahüberzuges zum Vorschein, die zusammengerollt auf hölzernen Bahren lagen, von brüllenden Muselmännern getragen. Um das Machmal taumelten die religionstrunkenen Pilger, die heulenden Derwische mit ihren Bannern und Schäften.

Bevor ich fortfahre, muß ich zum besseren Verständniß des Nachstehenden vom Machmal sprechen. Es ist dies ein von einem reich aufgeschirrten Kameel getragener goldener Baldachin, dessen Grundfarbe, der vielen Goldstickereien halber, nicht mehr zu erkennen [27] ist. An den vier Kanten desselben und an der kuppelartigen Spitze sind große goldene Kugeln angebracht, welche mit dem Halbmond geschmückt sind. Unter diesem Baldachin oder Zelt befindet sich Niemand. Das Machmal, welches leer nach Mekka geht und leer zurückkehrt, wird heutzutage blos mitgenommen, um der Ceremonie größeres Gepränge zu verleihen.

Als ich aber die verzückten Muslimen gewahrte, wie sie sich sicherem Zerquetschen aussetzten, nur um die Hand über das goldene Zelt zu streifen, die sie dann mit Küssen bedeckten und über die Stirn strichen, wobei ihr Gesichtsausdruck eine Seligkeit verrieth, gleichsam als ob sie Ambrosia genossen, als ich den unvergeßlichen Ausdruck der Augen der Frauen sah, wie sie die Schleier und Kopftücher zu den Fenstern hinunterließen, um das Zelt damit zu berühren, da sagte ich mir: Dieser Fanatismus kann nicht aus Liebe zu Prunk entstehen; ein goldenes Zelt kann auch in dem schausüchtigen Volke keine solche Vergötterung hervorrufen. Es muß ein religiöser Glaube dahinter stecken.

Vergebens suchte ich bei den Arabern Auskunft. „Das Machmal? Ach! Das ist etwas sehr Heiliges.“ Man verdrehte die Augen und – Punctum. Auch in den Reisebeschreibungen ist es mir nicht viel besser ergangen.

Ueber keinen Gegenstand ist wohl noch so viel gefaselt worden, wie über das Machmal. Der Eine sagt, es habe die Bestimmung, die Kaabah zu bedecken, der Andere, es gehöre auf das Grabmal Mohammed’s etc. Der unübertreffliche Lane erzählt, daß Scheger ed-Durr, die Favoritin des Sultans Es-Saleh-Negm-ed-Din, die Erste war, welche unter einem Machmal nach Mekka wallfahrte. Die Frauen der Khalifen sollen für einige Zeit dasselbe gethan haben; später wären sie fein zu Hause geblieben und hätten blos ihr Zelt mit der Pilgerkarawane nach Mekka geschickt. Seit der Zeit werde es als Symbol königlicher Würde mitgenommen. Auch Burckhardt ist dieser Meinung. Lane giebt indeß zu, daß er niemals hätte ausklügeln können, aus welchem Grunde die Muslimen für’s Machmal so fanatisch sind.

Trotz der Meinungsverschiedenheit oder vielmehr der Unkenntniß der Sache sind sämmtliche Reisende in Einem einig, nämlich, daß auf dem Machmal zwei Koranexemplare befestigt sind, und dies hat nach zur Ueberzeugung geführt, daß Alfred von Kremer den richtigen Ursprung des Machmals gefunden hat. „Geht ein Beduinenstamm in’s Gefecht,“ erzählt besagter Autor, „so pflegt man das schönste und muthigste Mädchen des Stammes in eine Sänfte zu setzen, die von einem Kameel getragen wird, das man in’s dichteste Kampfgewühl leitet. Während die Feinde sich der schönen Beute zu bemächtigen suchen, wird sie von den Ihrigen vertheidigt. Sie spricht denselben Muth ein, belobt tapfere, vor ihren Augen vollführte Thaten und verspricht dem Tapfersten der Tapferen ihre Hand; so wird dann der Kampf um sie herum am heftigsten. Auf diese Sitte gründet sich auch der Gebrauch, daß bei der Pilgerkarawane der Koran unter einem Zelt von einem edlen Kameel, das kostbar aufgeputzt ist, getragen wird. Man nennt dies das Machmal. Dasselbe soll der Sammelpunkt sein, um den sich im Fall des Angriffs der Karawane die Kämpfenden zu schaaren haben, um ihr Heiligstes zu vertheidigen.“

Anfangs sahen die frommen Muslimen beim Anblick des Machmals nur den Koran, von dessen Göttlichkeit sie bekanntlich Alle überzeugt sind; der Fanatismus wurde von Vater auf Kind überliefert, bis zuletzt die Verzückung beim Erscheinen des heiligen Zeltes eingeboren ward und des Muslimen Eifer nicht mehr dem Koran, sondern dem Machmal galt. Das Curiose bei der Geschichte ist aber, daß das Machmal in der That jetzt keinen Koran trägt. Ich habe den Chef selbst gefragt, und er antwortete mir: „Koran? Ich weiß von keinem Koranexemplar. Wißt Ihr Etwas davon?“ frug er seine Leute. Jeder schüttelte den Kopf und sagte. „Wasisch Koran,“ was auf Deutsch so viel als „Nix Koran“ heißt. Man hat den Koran also vergessen. Armer Islam! hohl sind die Feiern deiner einst so getreuen Muslimen; die noch bleibenden Zeloten hangen blindlings an dir. Oeffnet ihnen die Augen, und sie werden zu Skeptikern!

Jetzt wollen wir wieder zur Feier zurückkommen. Der Sitte gemäß, bleiben die heiligen Decken zwei Wochen in der Moschee Hassanin, wo das Haupt Hussein’s, des Enkels Mohammed’s, aufbewahrt wird. Hussein wurde in der Ebene von Kerbela auf des Khalifen Jezid’s Befehl getödtet. Er starb also nach den Mohammedanern den Tod eines Märtyrers und wird von diesen als solcher verehrt. Diese Moschee, das größte Sanctuarium Aegyptens, ist äußerst schön. Um Vieles höher als unsere Kirchen, ist sie durch Riesensäulen von grauem Marmor und mit goldenen Sprüchen aus dem Koran geziert. Den Boden decken farbenreiche, werthvolle Teppiche. Die grünen Thore des Sanctuariums sind mit silbernen Verzierungen beschlagen. In dieser Moschee wurden die Teppiche verpackt, auf Kameele geladen, um am 20. Schewwal (12. December 1873) nach dem unmittelbar außerhalb der Stadt gelegenen Sandfelde von Abbassijjeh gebracht. Am folgenden Morgen findet die Uebergabe der Machmalschnur statt.

Alle Jahre meldet sich freiwillig ein höherer Officier, das Machmal durch die Wüste zu geleiten und die Machmalsgarde zu befehligen. Früher war dies eine hohe Ehre, und man riß sich darum. Heute mögen die Jüngeren von dieser Strapaze nichts mehr wissen, und es bewerben sich nur noch alte Zeloten um die heilige Mission. Auch jetzt ist der Emir der Pilgerfahrt ein alter Mann, Namens Manuch-Aga. Diesem Manne überreichte der Kronprinz – der Vicekönig mag von solchen Geschichten nichts wissen – die Schnur des Machmals. Dasselbe war durch Soldaten dreimal um den mit Infanteristen und Cavalleristen besetzten großen Plan geführt und dann vor das prächtige Zelt des Kronprinzen geleitet worden, in welchem nebst demselben die Großen des Reichs saßen. Tewsik-Pascha legte die besagte Schnur in Manuch-Aga’s Hände, der Scheich el Bekri, ein Nachkomme Abu Bekr’s und als solcher Haupt sämmtlicher Derwische Aegyptens, sprach ein Gebet und somit war die Ceremonie beendet. Man hatte mich auf langes Beten, wie es die feierliche Gelegenheit heischte, vorbereitet, doch das Gebet des Scheichs el Bekri mußte von sehr kurzem Inhalt gewesen sein, wenn überhaupt eins ausgesprochen worden, sintemalen es keine Secunde dauerte.

Mäßigen Schrittes, von Kanonen und Soldaten gefolgt, trug das edle Kameel das Machmal nach Abbassijjeh. Hier wurde der Baldachin auf den Sand gesetzt und mit einer grünen, mit weißen Schnörkeln benähten Decke, die wieder mit farbigen Lettern (Anpreisungen Allah’s und Mohammed’s) ausgestattet war, verhüllt, damit die Farbe des Machmals nicht unter den glühenden Strahlen der Sonne verschieße. Rings um dasselbe wurde ein grünes Paravent (Windschirm) aufgestellt, durch Stricke befestigt, die schräg in den Sand liefen. Neben dem Machmal stand das Zelt des Chefs aufgeschlagen. Ringsum, in einiger Entfernung, sah man die Zelte der Soldaten, der Proviantmeister, der Schneider und der übrigen Handwerker. Die Karawane nimmt nämlich Leute von jedem Handwerk mit, um allen Bedürfnissen Genüge zu leisten. Ich sah sogar kleine Stiefelputzer.

Drei Tage pflegt die Karawane in Abbassijjeh zu lagern, um die zur Wüstenreise nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Am Abende des dritten Tages schlossen sich ihr die Pilger an, die sämmtlich die Nacht daselbst verbrachten, um am folgenden Tage beim Aufbruche der Karawane an Ort und Stelle zu sein.

Da ich den Abzug sehen wollte, bestellte ich gestern meinen schönen Esel, der mich denn heute früh abholte. Sein liebliches Geschrei weckte mich gegen vier Uhr aus den süßesten Träumen. Im Nu war ich angekleidet. In einen dicken Mantel gehüllt – denn hier ist es Morgens und Abends kalt –, schwang ich mich auf das kühne Eselchen. Der Treiber schrie: „Uau!“ und fort ging’s in Galopp durch die engen Gäßchen Kairos. Die Esel vertreten hier die Stelle der Droschken; sie sind hierzulande kräftiger und schöner als irgend anderswo und leisten die trefflichsten Dienste.

Es wurde mir eigen zu Muthe, als ich so durch die dunklen Gassen zwischen hohen Häusern ritt, die das Mondlicht nicht einließen, die hohe Gestalt des dunklen Aegypters an meiner Seite mit seinem schlichten Gewande, das bei jeder Bewegung das Ebenmaß der Glieder verrieth, in der Hand die ägyptische Laterne mit den farbigen Glasscheibchen. Er erzählte mir wundersame Dinge, Alles mit dem gläubigsten Tone, als ob er die Richtigkeit des Behaupteten verbürgen könnte. Wie er einen „Hund von Christen“ vor einigen Tagen einlud, mit ihm zu essen. „Ich bin ein armer Mann,“ sagte er, „aber ich kann nicht essen, wenn der Beistehende nicht mein schlichtes Mahl [28] theilt“ – und wie dieser „Hund“ ein abscheuliches Wort ausgesprochen und es ihm angethan habe. Seit er dieses Wort gehört, habe er nicht mehr essen können; es habe ihm die Kehle zugeschnürt. Heute sei der Christ wieder vorübergegangen; da habe er gewisse beschwörende Worte gesprochen und einige Lumpen in’s Feuer geworfen, und nun stehe es mit dem Appetit wieder besser.

Wir sprachen dann von der Procession des Machmals. Mein Mann verdrehte die Augen, als er mich von der Heiligkeit Derjenigen zu überzeugen suchte, die mehr als einmal in Mekka gewesen sind.

„Und hast Du den Schlüssel bemerkt, der auf goldenem Kissen hinter dem Machmal einhergetragen wurde?“ frug er mich.

„Ja! Das ist der Schlüssel der Kaabah. Nicht?“

„Du sprichst die Wahrheit, Herr; es ist der Schlüssel der Kaabah. Mit diesem Schlüssel hat es eine eigene Bewandtniß. Beim Aufschließen des Thores der Kaabah geschieht jährlich schon seit undenklicher Zeit ein Wunder. Kein Mensch außer der in Mekka ansässigen Familie Scheiba kann dieses Thor öffnen. Die Stärksten mögen stundenlang daran rütteln, und es bleibt hartnäckig verschlossen, während ein Säugling der Scheiba es mit dem kleinen Finger öffnen kann.“

(Später erfuhr ich, daß mit dem Aufschließen der Kaabahthür in der That ein Geheimniß verbunden ist, dessen nur die Familie Scheiba kundig ist. Die Mitglieder dieser Familie, der wohlhabendsten der Umgebung, halten streng zusammen und vermählen sich niemals mit fremdem Blute.)

Wir bogen um eine Ecke und hatten die weite Sandebene von Abbassijjeh vor uns. In der Ferne konnte man Menschengewimmel unterscheiden; oben am lichtblauen Himmel stand noch der Mond, auf die Umgebung ein sanftes Licht gießend; im Osten leuchtete der Morgenstern wie ein tiefes Auge, und dort oben auf dem nahen Minaret hub der Mueddin die wehmüthige Weise, den Ruf zum Gebete, an.

Es lag ein wundersamer Zauber in dem Anblicke. Der Zauber wich indeß, als ich mich dem Lager der Pilger nahte.

Es war inzwischen Tag geworden. Ein Kanonenschuß, und die Karawane bewegte sich. Voran das Geschütz, gefolgt von einer langen Reihe Soldaten zu Pferde, zu Zwei und Zwei reitend, hinter diesen die mit den heiligen Teppichen bepackten Kameele und hinterdrein ein Schwarm taumelnder, heulender, jauchzender, betender Menschenkinder – es ist völlig unmöglich, diese Menschenmasse zu veranschaulichen.

Man sah Derwische mit langen lebendigen Schlangen und bunten Fahnen, Spießen, Speeren und Netzen, aus Reifen aufgespannt, worin Fische zappelten, dem Kadirijjeh-Orden angehörend, deren Glieder meist Fischermänner sind, Possenreißer, in scheckigem Anzuge mit Fransen statt der Haare und des Bartes, Fechter mit Schilden und Säbeln, Kleinkrämer, die Imams der vier orthodoxen Seelen des Islams, weiße, rothe und grüne Turbane, schwarze, orangefarbene, weiße, himmelblaue, weiß und braun gestreifte Kaftane, farbenreiche Gürtel, deren Träger theils auf buntscheckig aufgeputzten Kameelen, theils zu Fuß waren, Alles mit intelligenten, aber durch die Erregung hier und da verzerrten Gesichtern, vom leuchtenden Schwarz bis in’s Braune und Gelbliche.

Hinter den Pilgern ritt der Stab des Befehlshabers Manuch-Aga selbst dicht neben dem Machmal. Diesem folgte auf einem mit rothen Latzen, Spiegelchen, Muscheln, keck aufstehenden Federn und Palmenzweigen gezierten Kameele der sogenannte Scheich el Gemel (Scheikh des Kameels), der das Machmal schon unzählige Male nach Mekka begleitet hat. Dafür sprach ihn das Volk heilig. Es ist dies ein ekliger, fetter Mann mit grauem Barte, der, bis an den Leib nackt, gar nichts mehr von der Außenwelt zu bemerken scheint und mit der den Irren eigenen Monotonie seinen Kopf herumrollt. Hinterdrein trabten die mit den Nakadirs beladenen Kameele; Nakadirs sind eine Art Pauken mit dumpfem Schalle, die während der Reise unausgesetzt geschlagen werden, um den Pilgern, welche sich von der Karawane etwa entfernen, den Ort derselben anzudeuten.

Da ziehen sie nun, die fanatischen Söhne Mohammed’s, unter den glühenden Strahlen der ägyptischen und asiatischen Sonne, auf glühendem sandigem Boden. Längs des Weges schließen sich ihnen Pilger aus allen Theilen des türkischen Reiches, aus Kaukasien, den russischen Südprovinzen, aus der Krim, ja selbst aus Persien und Bokhara an. Constantinopel, Damaskus, Smyrna und zahllose andere Städte senden werthvolle Angebinde nach der heiligen Stadt des Islams. Der Kairiner Pilgerstrom wird durch alle diese Seitenströme mit jedem Tage größer, bis über hunderttausend durch die Strapazen der Wüstenreise hager gewordene Muselmänner vor den Thoren Mekkas stehen. Hier müssen sie sieben Male um die Kaabah gehen, den schwarzen Stein Abraham’s küssen, drei Tage im Thale von Mina beten und eilenden Schrittes den heiligen Berg Arafat herabkommen, was ihnen Alles in dem Koran so deutlich vorgeschrieben ist.

Und nach vier Monaten wird das Machmal in Kairo wieder seinen feierlichen Einzug halten. Dann wird man Mütter jammern, Gattinnen schluchzen und Kinder heulen hören, denn so Mancher war frisch und gesund ausgezogen und kehrt nicht wieder zurück. Jetzt ruhen die Gebeine der den Strapazen erlegenen Pilger im glühenden Sande der Wüste.

Und leider wiederholt sich dies alle Jahre! Ismaïl-Pascha, der ein Jahrhundert älter ist als sein Volk, schaut grollend zu. Indeß ist heute mit diesen abergläubischen Muslimen nichts zu machen. Der letzte Vice-König, Saïd-Pascha, hatte im Jahre 1861 wohl versucht, aus der ganzen heiligen Geschichte ein Paket zu machen und sie zur See von Suez nach der Mekka-Hafenstadt, Dschedda, zu befördern – aber die altgläubigen Mohammedaner schüttelten ihre Köpfe so lange, bis das Machmal wieder den langwierigen Landweg nahm. Die Pilger mußten diesen ohnehin einschlagen, weil ihnen das Fahrgeld des Dampfers zu kostspielig war.

     Kairo, im December 1873.

C. v. N.