Seite:Alban Berg Was ist atonal 04.jpg

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Opp.: Unmusik? Den Ausdruck finde ich zu stark; ich habe ihn auch noch nicht gehört. Ich glaube, daß es den Gegnern der atonalen Klänge hauptsächlich darauf ankommt, den Gegensatz mit der sogenannten „schönen“ Kunst zu betonen.

Berg: Von mir aus fassen Sie es so auf. Jedenfalls soll mit diesem Sammelbegriff alles geleugnet werden, was bisher den Inhalt der Musik ausgemacht hat. Ich habe schon die Worte arhythmisch, amelodisch, asymmetrisch erwähnt und könnte sie um ein Dutzend weiterer, die moderne Musik herabsetzende Bezeichnungen wie: Kakophonie, Retortenmusik, die ja teilweise schon in Vergessenheit geraten sind, oder wie solche neueren Datums, wie die der Linearität, des Konstruktivismus, der Neuen Sachlichkeit, der Polytonalität, der Maschinenmusik etc., vermehren. Alle diese in einzelnen speziellen Fällen vielleicht treffenden Bezeichnungen unter einen Hut gebracht, ergeben heute den Scheinbegriff der „atonalen“ Musik, an welchem von denen, die die Berechtigung dieser Musik negieren, mit großer Beharrlichkeit festgehalten wird und zwar mit dem Endzweck, auf diese Weise mit einem Wort der neuen Musik alles abzusprechen, was, wie gesagt, bisher Musik ausgemacht hat und damit ihre Existenzberechtigung zu leugnen.

Opp.: Da sehen Sie zu schwarz, Herr Berg! Vielleicht hätten Sie mit dieser Behauptung vor nicht langer Zeit noch zur Gänze recht behalten können. Heute weiß man ja, daß atonale Kunst für sich genommen fesseln kann, ja in bestimmten Fällen sogar fesseln muß. Dort nämlich, wo echte Kunst ist! Es handelt sich nur darum, zu zeigen, ob atonale Musik wirklich in jenem gleichen Sinn als Musik zu bezeichnen ist wie alles frühere Schaffen. Das heißt, ob – wenn sich, wie Sie behaupten, nur das harmonische Fundament geändert hat – alle anderen Elemente der bisherigen Musik auch in der neuen vorhanden sind.

Berg: Das behaupte ich allerdings und könnte dies an Hand einer modernen Partitur in jedem Takt nachweisen. Vor allem nachweisen – um mit dem Wichtigsten zu beginnen –, daß dieser Musik, wie jeder anderen, die Melodie,

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Alban Berg: Was ist atonal?. 23 – Eine Wiener Musikzeitschrift, Wien 1936, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alban_Berg_Was_ist_atonal_04.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)