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die unfaßbare Lücke seines Gedächtnisses zu begreifen, die sich von jener abendlichen Scheidestunde bis zu seiner Abreise am nächsten Morgen erstreckte, als aus dem unbewußten und bisher wohlgeglückten Bemühen, das Ungeheure zu vergessen, dessen Erinnerung zu ertragen er nicht stark genug gewesen wäre.

Und plötzlich, mit stillstehendem Herzen, richtete er sich im Bett auf. Drängte sich ihm die Vermutung immer gebieterischer auf, daß Alberta von seiner Hand den Tod gefunden, so war sie vielleicht nicht die einzige gewesen, die dieses Schicksal erlitten hatte. Vor mehr als zehn Jahren war seine junge Frau völlig unerwartet dahingeschieden. Eines Morgens war er in ihr Schlafzimmer getreten, um vor dem Gang ins Amt ihr den gewohnten Kuß auf die Stirn zu drücken; da hatte er sie tot im Bett gefunden; und er erinnerte sich heute mit Grauen, daß er damals, im ersten Augenblick wenigstens, keine sonderliche Erschütterung, ja kaum ein heftiges Erstaunen verspürt hatte. Der Arzt hatte den Tod der jungen Frau wohl als ein an sich seltenes Vorkommnis, aber doch mit Rücksicht auf ihre für so junge Jahre nicht unerhebliche Üppigkeit und auf gewisse, von Zeit zu Zeit auftretende Herzbeschwerden keineswegs als rätselhaft hingenommen; und da im übrigen nicht der geringste Verdacht auf Selbstmord oder gar auf

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 059. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_059.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)