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konnte kein Zufall sein. Gewiß war Otto beunruhigt, hatte Sorge um ihn und in diesen guten Tagen mehr als je zuvor. Grade jetzt, da Roberts Schicksal äußerlich und innerlich eine günstigere Wendung zu nehmen begann, da er zum erstenmal seit zwanzig Jahren erhobenen Hauptes in die Zukunft schauen durfte, war er seinem Bruder immer nur verdächtiger geworden. Aber ob die Gründe für dieses wachsende Mißtrauen nicht ebensosehr, ja eher noch mehr bei Otto gelegen sein konnten als bei ihm? Ob es sich nicht so verhielt, daß Otto, der in seiner eigenen Seele die ersten Zeichen einer Verstörung zu erkennen glaubte und davor zurückscheute, sie sich einzugestehen, das Unheil in satanischer Weise von sich abzuwenden versuchte, indem er es in eine andere, seiner Ansicht nach längst dafür vorbestimmte Seele, in die des eigenen Bruders hinüberdeutete? Wie oft schon hatte man gehört und gelesen, daß ein Wahnsinniger die Gesunden in seiner Umgebung für wahnsinnig hielt, daß ein geistig völlig normaler Mensch fälschlich als irrsinnig erklärt und ins Narrenhaus gesperrt wurde? Und nichts erweist sich schwerer, als einen Irrtum solcher Art auch für Außenstehende aufzuklären, wenn die Aufmerksamkeit einmal in die falsche Bahn gelenkt worden ist.

Robert dachte an Gerichtsfälle, an Zeitungsnotizen, die von zufälligen, leichtfertigen oder verbrecherischen

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)