Seite:Badisches Sagenbuch 341.jpg

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Der Wagen aber schien den Boden nicht zu berühren, sondern über den Wipfeln der Bäume hinzustreifen und eine Flammenstraße hinter sich zu lassen. So flog er immer näher, während es immer schrecklicher donnerte und blitzte, an die Burg heran, wo ihm auch das wohlverwahrte Thor keinen Widerstand zu leisten vermochte. Wie Papierblätter fielen die Thorflügel auseinander und die Mauer darüber rollte wie ein Haufen Sand in den Graben. So brauste der Wagen endlich durch die weitgähnende Wand in den Saal und mitten unter die von Entsetzen halbtodten Gäste herein. Da stand der Baum, wie ungefähr, wenn man ihn so vergleichen darf, ein großer Christbaum, mit Früchten und Lichtern übersäet; aber Niemand war so keck, sich Etwas von der Bescheerung zuzueignen. Der Kutscher aber rief mit donnernder Stimme: „Was zögert ihr denn? So greift doch zu!“ und die Riesenarme drangen jetzt wieder aus den Wänden des Saales hervor und nöthigten die Herren und Damen, zuzugreifen. Sobald aber Jemand eine der funkelnden Kirschen zum Munde führte, verwandelte sich dieselbe in eine Flamme, die nicht mehr zu löschen war und tief in das Herz und den Magen hinunterbrannte. Endlich riß der Kutscher selbst den Burgherrn zu sich auf den Bock hinauf, das Feuer bemächtigte sich des Gebälkes und der Dachsparren des Schlosses, der Boden öffnete sich mit einem weiten Klaff, und Pferde, Wagen, Ritter und Gäste sanken in eine schwarze, bodenlose Tiefe hinab. – So erzählten damals die Sonntagskinder, denn andere Leute hatten nur Blitze gesehen, die wie eine ungeheure Feuergarbe auf das Schloß zufuhren und es in ein Flammenmeer begruben. Aber es ist weltbekannt, daß Sonntagskinder in solchen Dingen immer mehr sehen, als gewöhnliche Menschenaugen.

Als sich des andern Tages die Thalbewohner von den Schrecknißen der Nacht erholten und ihre Blicke nach der Burg richteten, sahen sie weder Thürme noch Zinnen mehr, sondern blos schwarze Mauerblöcke, aus welchen bisweilen noch bläuliche Flammen mit Schwefeldampf emporschlugen. Auf dem Felde des alten Kaspar hingegen fanden sie an der Stelle, wo der schöne Kirschbaum gestanden hatte, eine tiefe schwarze Grube und daneben Spuren von Rädern und Pferdehufen. Sie besprengten

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagenbuch 1. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_341.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)