Seite:Badisches Sagenbuch 455.jpg

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Ochsen aus einem Dorfe heraus einen Sarg führen, von Fackelträgern umgeben. Die Erzählung davon im Volksmunde lautet also: In alten Zeiten haben in dem Dorfe Allmendshofen bei Donaueschingen reiche Ritter gewohnt, denen fast die ganze Gegend gehörte. Einer von ihnen hatte eine Tochter, Ruchtrud mit Namen, welche an frommer Gesinnung die Ihrigen weit übertraf. So weit ging ihre Frömmigkeit, daß sie mit der Andacht in ihrer Schloßkapelle sich nicht begnügte, sondern mitten in der Nacht vom Lager sich erhob und ihrer zarten Füße nicht schonte, um vor Tagesanbruch dem Frühgottesdienste anzuwohnen, welchen in der drei Stunden entfernten Kirche von Mistelbrunn ein frommer Priester hielt. Damals aber deckte die ganze Gegend dichter Wald, wovon die wenigen Tannen des Hasenwäldchens bei der Allmendshofer Ziegelhütte die letzten Zeugen sind. Doch wie die Jungfrau ohne Vorwissen der Eltern ihre Andacht verrichtete, so mußte sie auch ohne Begleitung den schaurigen Weg antreten. So wie sie aber zum ersten Male den Wald betrat, ward es plötzlich helle vor ihren Augen, denn siehe! ein Hirsch von siebzehn Enden stund vor ihr; auf jeder Zacke seines Geweihes flammte ein Licht, und er geleitete sie durch des Waldes Dickicht den geradesten Weg, bis von der heiligen Stätte die erleuchteten Kirchenfenster ihr entgegen glänzten. Und oftmals machte sie den Weg in lauen Sommernächten und oft über den knisternden Schnee der winterlichen Gegend; aber immer ging leuchtend und begleitend der Hirsch vor ihr her. Endlich kam die Zeit, da sie, nicht mehr in der Kirche von Mistelbrunn, sondern vor dem Throne der Herrlichkeit selbst Gott anschauen sollte. Da ließ sie die Ihrigen an das Todbette kommen und nahm ihnen das Versprechen ab, sie nicht in der Familiengruft, sondern dort zu begraben, wo es Gottes Wille sey. Da legten sie nach ihrem Hinscheiden den Todtenbaum auf einen Wagen und spannten diesem zwei des Joches ungewohnte Stiere vor und uberließen ihnen, zu gehen, wohin sie wollten. Die Leidtragenden aber und ganz Allmendshofen, denn Alle hatten das fromme Fräulein lieb gehabt, folgten von ferne nach.

Und siehe! die Thiere zogen durch Dick und Dünn den geraden Weg durch den Wald, und als sie vor der Kirche zu Mistelbrunn angelangt waren, legten sie sich vor dem Kirchhof

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 1. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_455.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)