Seite:Badisches Sagenbuch II 012.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wer er wäre? – Euer Vater! – schluchzte Walther, indem er seinem Erstgebornen in die Arme stürzte. Die Jünglinge umringten ihn und einer von ihnen hielt ihm ein Licht vor das Gesicht; keiner aber konnte seinen Vater erkennen, da ihn der feuchte Kerker und die kümmerliche Nahrung gänzlich entstellt hatten. – Ihr seyd ein Betrüger! – riefen sie – unser Vater ist schon zwei Jahre todt; er wurde im Forst auf der Jagd erschlagen. – Ihr wollt mich nicht erkennen, – sprach Walther weinend, – freilich hat man Euch betrogen. Allein der Betrüger war Der, welcher die Nachricht von meinem Tode aussprengte. Diebolt von Lützelhardt war es, der mich zwei Jahre lang in der härtesten Gefangenschaft hielt. – O, nun sehen wir’s, – riefen die Söhne – daß Ihr ein Betrüger seyd! Ritter Diebolt ist selbst mit seinen Knechten ausgezogen, um die Mörder unsers Vaters aufzusuchen, und hat bei unserer Mutter über dessen Tod Thränen vergossen. – Dieser Zug, – rief Walther, – fehlte noch, um ihn zum Teufel zu machen. Nun so holet mir Eure Mutter, diese wird mich nicht verkennen! – Die vier Brüder verkündigten ihrer Mutter, die unruhig ihre Rückkunft erwartete, daß ein Mann, der sich fälschlich für ihren Vater ausgebe, sie zu sprechen verlange. Frau Hedwig besann sich einige Augenblicke; dann dachte sie bei sich selbst: vielleicht haben meine Kinder den Fremden mißverstanden, und er hat ihnen von dem Tode meines Gemahls, oder von den Urhebern desselben, Kundschaft zu geben. – Sie stieg daher hinunter an die Pforte und hieß ihre Söhne im Hof sie erwarten. – Wo ist der fremde Mann? rief sie beim Heraustreten. – Hier ist er, dein Gemahl, dein Walther! Meine Söhne haben mich verkannt; wird auch mein Weib mich verkennen? – Eure Züge, – sprach Hedwig, – sind nicht Walthers Züge; aber Eure Stimme, wiewohl sie schwach und heiser tönet, hat Aehnlichkeit mit der seinigen. – Dein Ohr, dein Auge, – versetzte Walther, – mag dich täuschen; aber dein Herz, das Herz meiner Hedwig wird mich nicht verläugnen! Gewiß hat es jenen Abend nicht vergessen, da sie mir zum erstenmal ihre keuschen Arme öffnete; da ich ihr den Halskoller löste, und die Erdbeere, die ich auf ihrer Brust entdeckte … Bevor er ausreden konnte, hing schon Hedwig an seinem Halse und überströmte seine bleichen Wangen mit ihren Thränen: Du bist es, ja du bist mein Gemahl!

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band . Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_012.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)