Seite:Badisches Sagenbuch II 096.jpg

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Ein Wandrer grau von Bart und Tracht
Im sanften Antlitz Trauern,
Mit seinem Pilgerstabe sacht

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Klopft er an’s Haus des Bauern.


Hans riegelt auf den Laden
Und sieht den Zwerg da stehn;
Solch einen Kameraden
Hat er noch nie gesehn!

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Ob der Figur, so wunderlich,

Möcht’ er beinahe lachen,
Fühlt er nicht insgeheim in sich
Des Mitleids Trieb erwachen.

„Freund, wollt mir doch gestatten

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Für heut ein Nachtquartier!

Kaum tragen mich die matten
Gebeine mehr von hier;
Durchwandert hab ich ohne Frucht
Viel schwere schwüle Stunden,

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Ach! und das Ziel, das ich gesucht,

Noch immer nicht gefunden.“

Hans, ohne langes Fragen,
Schließt ihm die Thüre auf
Und weist ihm einen Schragen:

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„Da, Kleiner, leg’ dich drauf!“

Dann geht er selber auch zu Bett,
Sein Gast macht ihm nicht Sorgen,
Und beide schnarchen um die Wett’
Bis an den lichten Morgen.

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Da rafft sich schnelle schnelle

Vom Lager auf der Zwerg:
„Hab Dank, hab Dank, Geselle,
Für deine Nachtherberg!
Zu diesem Liebesdienst jedoch

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Erweis’ mir einen zweiten

Reich sey dein Lohn, willst du mich noch
Zum Mummelsee geleiten.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_096.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)