Seite:Badisches Sagenbuch II 301.jpg

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Zeiten in einer unterirdischen Kammer ein Bergweiblein, zwar weder jung mehr noch schön von Gestalt, doch gar freundlich und dienstfertig über die Maßen. Oft pflegte sie des Abends die Spinnstuben der umwohnenden Landleute zu besuchen und erzählte dann dem lauschenden jungen Völkchen allerlei seltsame Märchen, heitere und schaurige. Wo sie weilte, füllten sich die Spulen noch einmal so schnell als sonst, und der Faden wurde noch viel feiner und gleicher.

Damals lebte auf Eberstein ein Burgvogt, ein gar harter, finsterer Mann; der zwang die Mägde im Frauenhaus täglich bis in die tiefste Nacht zur Arbeit und gönnte ihnen kaum ein bischen Brod und Erholung. Unter denselben befand sich auch eine junge schmucke Dirne, Namens Klara, ein ausnehmend frommes, ehrbares Kind; die hatte der Schloßgärtner schon längst zu seiner Liebsten erkoren und sie kam ihm mit gleichen Gefühlen entgegen. Weil sie aber eine Leibeigene von Eberstein war, durfte sie sich, ohne des Vogts Bewilligung, nicht verheirathen, und dieser wußte jedesmal, wenn ihn das liebende Pärchen mit Bitten[1] darum bestürmte, irgend eine Ausflucht, um dies Glück zu verzögern. Einst, als das arme Mädchen recht flehend in ihn drang, nahm er sie an’s Fenster und sagte höhnisch, indem er nach dem nahen Friedhof im Thale deutete:

„Siehst du dort jenes grünbewachsene Grab, neben dem großen Leichenstein?“

„Ach!“ – seufzte Klara, und die hellen Thränen rieselten ihr über die blühenden Wangen – „ach! das ist ja das Grab meiner armen Eltern!“

„Die Nesseln gedeihen ja prächtig auf diesem Grabe!“ – fuhr der Vogt lachend fort; – „Es ist ja ganz davon überwuchert! Nun, höre mich an: ich habe mir sagen lassen, man habe die Erfindung gemacht, aus diesem Unkraut einen überaus zarten Faden zu spinnen, und darum will ich dir jetzt einen Vorschlag thun. Du sollst mir nämlich aus jenen Nesseln ein Stück Leinwand spinnen, das gerade zu zwei Hemden reicht, aber nicht größer und nicht kleiner. Das eine wird dann dein Brauthemd, und in dem andern soll man mich einst begraben.“

Mit diesen Worten ging er, boshaft kichernd, seiner Wege; die arme Dirne stund aber voll Bestürzung da und wußte weder

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Biiten
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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_301.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)