Seite:Badisches Sagenbuch II 548.jpg

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Ein Recke kühn und minnesam,
Den Jetta liebgewann.

Oft bei des Mondes Dämmerstrahl
Hat sie der Quell belauscht,

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Da ward gekos’t so manches Mal

Und Kuß um Kuß getauscht.

Auch heute wagt sie ihm zur Huld
Den späten Pilgergang,
Vor heißer Herzensungeduld

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Deucht ihr der Pfad so lang.


Sie hat nicht Ruh, sie hat nicht Rast,
Es drängt sie mehr und mehr,
Waldvöglein sang vom Tannenast:
„O eile nicht so sehr!“

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Bald naht dem Ziel ihr flinker Fuß,

Sie sieht, von Busch umzweigt,
Den Buhlen schon: „Mein Schatz, bist du’s?“
Er regt sich nicht und schweigt.

Da flog das Mägdlein sehnsuchtsschnell

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Ihm zu – mit Ungestüm

Umfängt sie, weh! nicht ihr Gesell, –
Ein lechzend Ungethüm.

Ein Wolf, der dort den Durst gestillt,
Hält gierig sie umklaut,

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Vom Blut, das ihrem Leib entquillt,

Wird Busch und Moos bethaut.

Hört in der Runde denn kein Ohr
Ihr herzzerreißend Schrei’n?
„O Waidmann! Waidmann, komm hervor,

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Dein Liebchen zu befrei’n!“
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_548.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)