Seite:Band II - Der Osten (Holl) 276.png

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Strebens durchschnitten. Was einmal erreicht und im Dogma festgeschlagen war, hielt auch das Mönchtum für eine Errungenschaft, aber einen Trieb, den Glauben begrifflich weiterzubilden, hatte es nicht. Ihm lag die Übung der Frömmigkeit am Herzen. So gewiß das Mönchtum orthodox sein wollte, – Orthodoxie allein genügt nicht; das halten der Gebote Gottes ist erst das Entscheidende, hat es unaufhörlich gepredigt. Symeon der neue Theologe schleudert den Patriarchen den Vorwurf ins Gesicht, daß sie die Kirche ruinierten, weil sie sich begnügten, von den Bischöfen ein orthodoxes Glaubensbekenntnis zu fordern; orthodox im wahren Sinn sei erst der, der ein mit dem rechten Glauben übereinstimmendes Leben führe.

Aber das Mönchtum hat nicht bloß die praktische Aufgabe überhaupt der Kirche energisch zum Bewußtsein gebracht; es hat auch die sittliche Anschauung geläutert und vertieft. Die abendländische Kirche war damals schon lange auf bedenklichem Wege. Hauptsächlich die Einführung der Begriffe meritum und satisfactio ist dort vom schlimmsten Einfluß auf die Entwicklung der sittlichen Vorstellungen gewesen. Denn damit ist sanktioniert, daß es Handlungen gibt, die ipso facto sittlichen Wert haben, ihr Wert kann ausgedrückt, kann als Äquivalent verwendet, kann als Billigkeitsanspruch vor Gott geltend gemacht werden. Der Ablaß ist nur die konsequente Ausbildung dieser Idee. Der griechischen Kirche ist diese ganze niedrig rechnerische Art der sittlichen Anschauung fremd geblieben. Es gibt dort keinen Ausdruck für Verdienst und Genugtuung. Als Gabriel Philadelphus († 1616 in Venedig) das abendländisch-scholastische Lehrstück von den sieben Sakramenten ins Griechische übertrug, da übersetzt er satisfactio mit ἱκανοποίησις und erklärt, ἱκανοποίησις sei die Erfüllung des κανών, d. h. der vom Priester auferlegten Bußübung. Daß man bei satisfactio auch an Genugtuung vor Gott denken könne, kam ihm nicht in den Sinn, obwohl er jahrelang in Venedig gelebt hatte und mit der abendländischen Scholastik wohl vertraut war. Wohl kennt und schätzt auch die griechische Kirche gewisse hervorragende sittliche Leistungen – Ehelosigkeit, Fasten, Almosengeben –, sie übertrifft sogar in dem Maß der Askese, das sie von ihren Gläubigen fordert, die abendländische Kirche weit, aber sie hat nie vergessen, daß Askese Uebung, Uebung im sittlichen handeln sein soll, daß eine Entsagung nur dann Sinn und Wert hat, wenn eine schlimme Neigung dadurch unterdrückt oder, wie sie sich ausdrückt, wenn ein πάθος dadurch geheilt wird. Wohl erwartet auch die griechische Kirche, daß eine außergewöhnliche sittliche Leistung bei Gott ihren besonderen Lohn findet, aber sie denkt nicht an einen Anspruch oder an äußerlich abzumessende Vergeltung; sie hofft, daß der, der sich hervortut, dadurch zum Freund Gottes wird, der in seiner Nähe stehen darf und dessen Bitten Gott gern Gehör schenkt. Die Kirche bemühte sich aber auch zu verhindern, daß über asketischen Leistungen das Schwerere am Gesetz: Versöhnlichkeit, Barmherzigkeit, Nächstenliebe vernachlässigt werde. Es ist ein schöner Zug an der russischen Kirche, wie stark dort die Verpflichtung, den Bedürftigen zu unterstützen, von den Gläubigen empfunden wird. Wenn aber die sittliche Anschauung in der griechischen Kirche so reiner und kindlicher blieb, als in der abendländischen, so hat sie dies vor allem ihrem Mönchtum zu danken. Eben weil der Mönch nicht mehr sein wollte als wahrer Jünger Christi, weil die höchste asketische Leistung, die Weihe des ganzen Lebens, vom Mönchtum selbst nur als

Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_276.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)