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Politik und geistige Arbeit

Von Paul Bekker


Die Revolution geht über die Erde. Nicht nur die politische, die soziale, die wirtschaftliche Revolution, die den mehr oder minder gewaltsamen Umsturz des Überlieferten und Bestehenden bewirkt, alte Ordnungen über den Haufen wirft und, ungewiß des eigenen Zieles, der Auflösung entgegentreibt. Das, was den Bewegungen auf diesen Einzelgebieten erst den tieferen Antrieb gibt, ist die Revolution des Geistes, die Erschütterung jeglichen Autoritätsglaubens überhaupt – nicht in einem kleinen Kreise berufsmäßig Unzufriedener, nicht in einer einzelnen, schlecht behandelten Volksschicht, auch nicht einmal nur bei den Völkern, die im Augenblick unter die Räder des Geschickes geraten sind. Die große, furchtbare Erschütterung, von der wir bisher nur die ersten gewaltsamen Stöße spüren, richtet sich nicht gegen Einzelerscheinungen und Einrichtungen bestimmter Lebensformen einzelner Völker. Sie wurzelt in der zur Verzweiflung gesteigerten Erkenntnis des Mißleitetseins, und dieses Mißleitetsein gilt von Siegern wie von Besiegten, wenn es auch im Augenblick diesen am niederdrückendsten, den Siegern aber erst in einer späteren Entwicklungsphase zum Bewußtsein kommt. Wer aber nicht kindlich genug ist, um auf der einen Seite nur niederträchtigste Bosheit, auf der andern nur ideale Engelhaftigkeit der unmittelbar Verantwortlichen anzunehmen, der wird, unbeirrt durch den gegenwärtigen Stand der Dinge, die gleichmäßige Schuld aller anerkennen, eine Schuld, die sich am kürzesten kennzeichnen läßt als falsche Auslese der Führer.

Die Menge, erbittert durch das ihr zugefügte Leid und nicht geneigt, sich in lange Betrachtungen einzulassen, schlägt kurzerhand die alten Götzen kaput und setzt neue an ihre Stelle. Sie spricht von Demokratisierung, von Parlamentarisierung, von Volksregierung und ähnlichem und glaubt, in diesen Worten Zauberformeln für ein glücklicheres Dasein gefunden zu haben, nur weil sie äußerlich einen Gegensatz zu den bisher herrschenden Anschauungen bedeuten. Der abseits stehende Skeptiker – er braucht nicht Reaktionär zu sein – fragt, wo denn der Beweis für die wahrhaft befreiende Wirkung dieser Einrichtungen sei. Er führt Gegenbeispiele aus der Vergangenheit an, er weist auf die feindlichen Staaten hin, in denen nicht nur die Demokratie unvermögend war, den Krieg zu verhindern, sondern eben durch den Krieg die demokratischen Regierungsformen durch nahezu absolutistische ersetzt worden sind. Die Wahrheit ist, daß Namen auch hier nur Dunst sind. Ein Regierungssystem, das die Lebensansprüche der Gesamtheit erkennen und vertreten soll, wird nicht durch Schlagworte und auch nicht durch aus diesen Schlagworten resultierende augenblickliche Maßnahmen gewährleistet. Hüten wir uns, aus der Anbetung der Alleinherrschaft in das Extrem: die Anbetung der Massenherrschaft zu verfallen. Die Masse als solche, und wenn sie aus

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Paul Bekker: Politik und geistige Arbeit (Bekker). Tiedemann & Uzielli, Frankfurt am Main 1918, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bekker_Politik_und_geistige_Arbeit_Seite_2.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)