Seite:Bildnis einer Römerin 11.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

so wenig überein, dass ich ihre Zutheilung an die Antonia überhaupt für durchaus problematisch halten muss. Etwas näher kommt ihnen die ebenfalls im Vatican befindliche jugendliche Büste aus Camuccinis Sammlung[1]; allein auch ihre Benennung ist keineswegs zweifellos.

Und so ist überhaupt über die meisten iconographischen Bestimmungen dieser Art zu urtheilen. Von den Frauenbildnissen der romischen Kaiserzeit sind nur wenige zu so typischer Durchbildung gelangt, wie die männlichen Porträts: in sehr vielen Fällen ist, wenigstens bei dem jetzigen Stande der Forschung, auf eine zweifellose Bestimmung zu verzichten. Unzweifelhaft richtig ist jedoch in der Verweisung auf jene Antonia die Zeit und der Charakter des Kopfes getroffen; es fragt sich nur, ob nicht mit demselben oder noch besserem Recht auf eine andere, noch weit berühmtere Frau derselben Zeit, und die ebenfalls dem kaiserlichen Hause angehört, verwiesen werden kann, nämlich auf die ältere Agrippina, die Schwiegertochter jener Antonia, die Tochter des Marcus Agrippa und Gattin des Germanicus. Ihre Bildnisse auf den Münzen zeigen ebenfalls Züge mit wechselndem Ausdruck[2]. Auch unter den geschnittenen Steinen finde ich keinen nahe kommenden[3]; mit der Clytiabüste bieten auch sie nur in der Haartracht Berührungspunkte. Unter den wenigen Marmorstatuen und Büsten, die sich von ihr erhalten haben, kommen jedoch einige in der Haartracht, in der allgemeinen Structur der Gesichtszüge und der mehr gekrümmten Nase dem Clytiakopf näher. Dahin gehört z. B. (wofern die Zutheilung richtig ist) die Münchener Statue der Glyptothek No. 175[4]; der schön gearbeitete Kopf zeigt in der Haartracht (die Haare sind nicht, wie auf den Münzen, hinten alle in einen Schopf zusammengefasst, sondern zu beiden Seiten fallen Locken auf die Schultern), der niedrigen Stirn, in der Form der Nase und des Mundes eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Clytiakopf; der ernste und feierliche Ausdruck ist freilich von der Lieblichkeit desselben sehr verschieden. Demnach ist es nicht gerade zu verwundern, dass der Clytiakopf z. B. von Stackelberg[5] ausdrücklich als ‚unter dem Namen Agrippina bekannt‘ bezeichnet wird.

Nahe verwandt ist ferner ein früher in der Campana’schen Sammlung, jetzt jedoch nicht in St. Petersburg vorhandener, also wahrscheinlich in Paris zu suchender


  1. Museo Chiaramonti 2 S. 66 Taf. 30.
  2. Treu ist die Abbildung der großen Erzmünze bei Cohen 1 S. 142 Taf. 8, 1. Mongez’s Tafel mit Bildnissen der Agrippina, iconographie romaine 2 S. 135 Taf. 24, lässt viel zu wünschen übrig. Auf der in der Vignette Fig. 6 nach Cohen wiederholten Erzmünze erscheint sie mit gerader Nase, langem und dünnem Hals, die Haare vorn lose gescheitelt, hinten in einen Schopf zusammengefasst.
  3. Vier stellen die Abgüsse von Cades zusammen, classe 5 livro 38 Nr. 361—364
  4. In Brunn’s Beschreibung der Glyptothek (München 1868) S. 214 besprochen und durch die Hanfststängl’schen Photographieen Blatt 47 bekannt, wonach der Kopf in der Vignette Fig. 2 abgebildet ist; abgebildet ganz bei Clarac 931, 2370.
  5. An der unten S. 17 Anm. 1 angeführten Stelle.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_11.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)