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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

der Blätter nach oben. Anders dagegen in der runden Terracottascheibe mit einem von Schlangen umgebenen Medusenkopf, den Millingen, er sagt nicht woher, publiciert hat[1]. Doch ist das Ornament hier den oben besprochenen Reliefs analog: die Blattspitzen sind, allerdings in der Weise eines umgekehrten Kelches, nach auswärts gekehrt. Der Herausgeber erklärt dieselben für ‚kegelförmige Gehänge, bestimmt die Schuppen der Aegis darzustellen‘, schwerlich richtig. Verwandt sind hiermit die nach altrömischer Sitte auf Schilden (clipei) angebrachten Brustbilder, welche sich auf griechischen und römischen Grabsteinen und Sarkophagen nicht selten finden[2].

In dem ausgedehntesten Maße jedoch, wie begreiflich, hat die Malerei dieß Ornament zur Anwendung gebracht. Auf dem Hals der großen und reichverzierten unteritalischen Gefäße, welche ja überhaupt eine üppig wuchernde Ornamentik zeigen[3], finden sich, ganz analog der Verwendung auf Thonreliefs, ganze und halbe menschliche Gestalten, am häufigsten aber bloße Köpfe aus Blätterkelchen hervorwachsend und von zierlich verschlungenen meist helixartigen Ranken umgeben. Soweit eine gelegentliche Durchmusterung des reichen Vasenvorraths Beispiele bietet (deren Zahl noch erheblich vermehrt werden könnte), scheinen besonders Aphrodite und Eros und die ihnen verwandten Flügelgestalten in dieser Verbindung aufzutreten, in ganzer Figur stehend oder sitzend[4], wie die sitzende Sphinx auf der bekannten Patroklosvase von Canosa[5], oder auch schwebend. Denn aus dem Stehen auf dem Blätterkelch hervorgegangen ist offenbar auch das Schweben der Figuren über demselben, wie z. B. einer geflügelten Frau oder einer Mänade, des hermaphroditischen geflügelten Eros[6], sowie ganzer Gruppen, wie der Aphrodite (oder Kora) und zweier geflügelter Eroten[7]; worin Otto Jahn[8] mit Recht das Vorbild der schwebenden Figuren in den pompejanischen Wandmalereien erkannt hat.

Häufiger noch geht der Oberleib von geflügelten Frauen und Eroten in Blätterornamente


  1. Millingen ancient inedited monuments, statues, busts and basreliefs (London 1826) S. 36 Taf. 19, 2. Der Maßstab ist nicht angegeben. Murray schreibt mir, dass das brittische Museum eine Anzahl ähnlicher Terracottadisken mit Medusenköpfen besitze, darunter zwei fragmentierte, die Dennis in Centorbi fand; den Millingen’schen vermochte er nicht zu identificieren.
  2. Wie z. B. auf dem Grabsteine des Theseion bei Kekulé die antiken Bildwerke im Theseion zu Athen S. 86 Nr. 208; erwähnt auch bei Pervanoglu die Grabsteine der alten Griechen 8. 28.
  3. Zu vergleichen sind darüber Otto Jahn’s Bemerkungen in seiner Beschreibung der Vasensammlung K. Ludwigs S. CCXX.
  4. Aphrodite bei Hamilton pitture de vasi antichi 4 (1803) Taf. 14; Eros bei Gerhard apulische Vasenbilder Taf. 3 und B 6.
  5. Heydemann Nr. 3254; abgebildet zu der Erklärung von Michaelis Annali 43, 1871 S. 186 Taf. M.
  6. Gerhard apulische Vasenbilder Taf. 5, 6, B 7 u. a.
  7. Gerhard Trinkschalen und Gefäße Taf. G.
  8. Siehe Anm. 3 oben.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_19.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)