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dem sein Beruf ihn zu seinem Nachteile ausschließt. – Das äußere Leben gestaltete sich angenehm. Eine hübsche Landschaft und eine reiche Umgegend von hoher, alter historischer Kultur mit kleinen und großen Städten eröffnete ein völlig neues Gesichtsfeld, und das Beste daran, der Mensch, fehlte nicht. Von den vielen Trefflichen, unter denen ich in diesen ersten Gießener Jahren lernte und an einfacher Geselligkeit mich erfreute, nenne ich nur noch einen, der mir neben Clemm am nächsten stand, den Zoologen Anton Schneider. Er war viel älter als ich, unserem politischen Bekenntnis nach waren wir einander völlig entgegengesetzt, und doch verstanden wir uns in allen Lebensfragen. Von keinem vielleicht habe ich persönlich so viel gelernt, seine geistige Beweglichkeit war geradezu einzig; unter allen Menschen, die ich näher kennen lernte, erschien er mir als der am vielseitigsten gebildete. Er starb 1890 in Breslau, nachdem er 10 Jahre früher von uns gegangen war zu einer Zeit, wo mir die beste Gabe meines Lebens den Verlust weniger schmerzlich machte.

Denn der Frühling 1881 brachte mir die ersehnte Bestätigung der „opinion“ des vikar of Wakefield, und zeither führten mir zwei blühende Töchter das Glück vor Augen, daß ich nicht genötigt worden bin, statt ihrer zwei Jungen durch die mühevollen Fächer und Stufen unserer heutigen gelehrten Vorbildung zu treiben. – Als meine Frau und ich anderthalb Jahre später im September von unserer Ferienreise zurückkehrten, lag unser guter Clemm im Sterben. In ihm verlor ich den treuen Genossen so vieler äußerer und innerer Erlebnisse, und an die Stelle der frohen Gemeinschaft des Thuns trat vom folgenden Wintersemester an eine durch die Verschiedenheit der Naturen geforderte Teilung der Arbeit zwischen meinem neuen Kollegen und mir, welche für mich viele Veränderungen zur Folge hatte. Diese Arbeitsteilung machte zunächst eine viel weitere wissenschaftliche Orientierung nötig. Das war an sich kein Schade. „Sie werden die Katastrophe noch segnen,“ schrieb mir damals mein Freund Schneider. Gesegnet habe ich sie zwar nicht, aber ich habe mich ihr anzupassen gesucht, so gut ich konnte. Ich suchte durch anhaltendes, eindringendes Lesen meine Kenntnis der alten Litteratur zu vertiefen, teils für meine eignen Zwecke wissenschaftlicher Erkenntnis, teils für den Lehrberuf. Ich will zuerst von diesem reden.

Schon früh hatte ich für richtig gehalten, die Studierenden in ihren Arbeiten auf Schriftsteller und was in deren Umkreis liegt, hinzuweisen, nicht auf neuere Bücher, bestimmte Themata oder ganze Nebendisziplinen der Philologie. Ohne daß ich mich für einen eigentlichen Philologen ansah, hatte ich für Interpretationsübungen Interesse selbst empfunden und bei zunehmender Einsicht auch in den Studierenden zu wecken gewußt. Für kritische Anfangsarbeiten wies ich gern auf die griechischen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_176.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)