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Das Ausland. 1,2.1828


vierzig, eine Zahl, die hinreichend war, um den ausgezeichnetsten Schriftstellern Frankreichs ehrenvolle Aussichten zu eröffnen, Aufforderung genug, eine anständige Haltung, der Regierung gegenüber zu beobachten, um deren Mißfallen nicht auf sich zu ziehen, und in Folge desselben jener Aussichten verlustig zu werden. Er gab der Akademie drei Beamte, einen Direktor, Kanzler und Sekretär, welche sie selbst wählte. Nach dem Reglement Ludwig XV wurden die beiden ersteren Stellen von drei zu drei Monaten durchs Loos besetzt, die letztere dagegen war bleibend. Jener Wechsel der Vorstände brachte eine dem Gedeihen der Wissenschaft förderliche Gleichheit unter die Mitglieder; die Perpetuität des Sekretärs bewirkte Regelmäßigkeit des Geschäftsgangs.

Wir heben einige fernere Momente aus, um Richelieus Werk richtig zu würdigen. Einmal legte er in die Akademie die Keime zu einem wahrhaft geistigen, in stetem Fortschreiten begriffenen Leben: er machte sie zur treuen Bewahrerin und Pflegerin des Höchsten und Tiefsten in der Wissenschaft. Man ward nicht Mitglied der Akademie überhaupt, sondern man trat in die besondere Stelle eines bestimmten Vorgängers, so daß man nicht sich allein, sondern dessen Person gleichsam perennirend repräsentirte, dessen Gedächtniß feierlich huldigte, dessen Verdienst fortzupflanzen übernahm. So erhalten jene akademischen Lobreden auf verstorbene Vorgänger eine schöne Bedeutung; sie sind ernste Mahnungen zur Nachfolge auf der Bahn der Unsterblichkeit, auf der jene vorangegangen. Indem der Redner die Nachwelt vertritt und in ihrem Namen dem Vollendeten die Palme reicht, gedenkt er wohl auch der Zeit, wo ihn selbst das Todtengericht erwartet, und ein solcher Augenblick der höhern Weihe erweitert den Gesichtskreis über alle kleinlichen egoistischen Motive. Sodann – und dadurch suchte Richelieu die Selbstständigkeit der Wissenschaft mit den Zwecken des Staats in Einklang zu bringen – gewann die Gesellschaft durch die persönlichen Immunitäten ihrer Mitglieder, welche die Urkunde Ludwigs XIII, so wie durch die Wahlfreiheit und Selbstergänzung, welche die Reglemens des Kardinals Protektors bewilligten, das Ansehen einer ehrenvollen Unabhängigkeit; zugleich aber wurde durch die Bedingungen der Wahlfreiheit, nämlich daß Keiner zugelassen werden sollte, der nicht den Beifall des Protektorats hätte, und daß (Reglem. Art. XXII) keine politische oder sittliche Wahrheit im Widerspruch mit der Autorität des Fürsten, dem Gange der Regierung und den Gesetzen des Reiches verhandelt werden sollte, jeder störenden unbesonnenen Opposition vorgebeugt und den Wissenschaften eine strenge dem Geiste des Ganzen angemessene Bahn vorgezeichnet. Drittens bewahrte der Kardinal sein Institut vor unnützen und gefährlichen Streitigkeiten, indem er die Theologie ausschloß (Reglem. art. XXI en délibération, aucune matière concernant la religion.) In einem Lande, wo der Katholicismus Staatsreligion ist, oder überhaupt, wo es eine herrschende Kirche gibt, kann die wissenschaftliche Forschung nicht ohne Nachtheil für die wissenschaftliche Freiheit auf Gegenstände des Glaubens angewendet werden. Beide Fälle sind gleich unstatthaft, sey es, daß die Wissenschaft der Religion, oder daß die Religion der Wissenschaft fröhne: beides erzeugt Vorurtheil und Einseitigkeit. Aber lasse man die Lichtstrahlen, die von beiden ausgehen, in freier Richtung sich ergießen, ohne sie in eine künstliche Verbindung zwängen zu wollen, so wird die Wahrheit sich von selbst zusammenfinden. Bedürfniß ist es dem menschlichen Geiste, Wissen und Seyn, Denken und Glauben als Eins zu setzen; aber die Wissenschaft, welche diese Totalität nicht auf ihrem Wege, sondern erst am Ziele findet, fordert Anerkennung des Selbstwerths und Selbstzwecks jeder einzelnen Darstellung, und sie wird förmlich vernichtet, so wie sie sich neben eine Autorität stellt, die mit dem Zweifel auch die Forschung ausschließt. Der Kardinal ging als Stifter einer forschenden Akademie von einem Grundsatze aus, der sich dem praktischen Sinn der Britten bei der Bildung einer lernenden Akademie empfahl. Die neue Londner Universität erhält keine theologische Fakultät. Will man die Religion als Wissenschaft behandeln, so macht man sie immer mehr zu dem, was sie nicht ist, zum Schema und zur Formel, oder man macht umgekehrt die Wissenschaft zum Glaubensartikel oder zum Anathem.

Als vornehmste Bestimmung der Akademie erklärten die Reglements des Kardinals (art. XXIV) die Feststellung sicherer Regeln für die Sprache, wodurch diese beredter und für die Behandlung der Wissenschaften und Künste geschickter gemacht werden sollte, und zu dem Ende ward (art. XXVI) die Herausgabe eines Dictionnärs, einer Grammatik, Rhetorik und Poëtik beschlossen. Die Herausgabe des Dictionnärs erheischte eine Arbeit von 60 Jahren; es erschien 1694, und seitdem in mehreren Auflagen. 1803 wurde, um ein neues Dictionnär auszuarbeiten, eine besondere Kommission niedergesetzt.

Wenn eine solche Regulirung der Sprache einer weitern Fortbildung derselben und noch mehr der Hervorbringung originell gedachter und stilisirter Geisteswerke ungünstig ist, indem die normale Form der Sprache keinen vollkommenen Ausdruck für den individuellen Charakter des Schriftstellers hat, sofern jede Individualität, als solche, mehr oder weniger eine Abweichung von dem Normaltypus ist, so wird dieser Nachtheil doch durch anderweitige Vortheile mehr als aufgewogen. Die französische Literatur, die dem Gesetze der Deutlichkeit und der logischen Ordnung folgt, kann sich einer Reinheit und Korrektheit rühmen, von welcher die deutsche Literatur himmelweit entfernt ist. Indem es den Mitgliedern der Akademie (Reglem. art. XLIII und LXIV) zur Pflicht gemacht wurde, in ihren Schriften sich nach den von der Akademie aufgestellten Regeln, welche sich bis auf die Orthographie erstreckten, zu richten, so gewöhnte sich der Sinn der Franzosen so sehr an die Form der größtentheils von der Akademie ausgegangenen Musterwerke, daß eine Abweichung davon nicht nur für eine unverzeihliche Sünde gegen den guten Geschmack und den feinen Ton gehalten wurde, sondern auch mehr oder weniger die Nichtachtung von Seiten des Publikums zur Folge hatte. Mag auch die neuere Zeit die stereotypen Formen der französischen Literatur erschüttert haben, so ist doch die Achtung der Franzosen für die Reinheit und Eleganz des Stils auch bei der größern Freiheit, welche die Sprache der Revolution verdankt, in sofern ungeschwächt

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_067.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)