Seite:Das Ausland (1828) 0758.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 183. 1 July 1828.

Uebersicht der neuesten italienischen Literatur[1].

In Briefen von einem italienischen Gelehrten.

Dritter Brief.
(Fortsetzung.)

Es gibt zwar in Italien der Männer viele, welche mit großem Erfolge die Kunst der Rhetorik gepflegt und Werke hervor gebracht haben, die nimmer in Vergessenheit kommen werden. Allein von der eigentlichen Beredsamkeit – wir reden von der geistlichen, der einzigen, die Italien verblieben ist, läßt sich nicht viel Gutes rühmen.

Die Predigten einiger beliebten Redner, welche im Druck erschienen, haben der Erwartung des Publikums nicht entsprochen, und den vielfachen Vorwurf bestätigt, daß die italienischen Kanzelredner schwülstig und witzelnd seyen und mehr nach äußerlicher Eleganz, als nach jener wahren und einzigen Beredsamkeit streben, die in muthiger und kräftiger Darstellung der Wahrheit besteht. Italien hat keinen Kanzelredner, den es einem Bossuet, Massillon an die Seite stellen könnte, ja nicht einmal Segneri findet heut zu Tage seines Gleichen; und auch dieser ist noch bei weitem kein vollkommenes Muster in diesem Fach.

Einen andern Zweig der Literatur hat man bis jetzt den Italienern ganz abgesprochen, – den Roman. Man möchte jedoch fragen, was der Filocopo, was viele der längern Novellen Boccaccio’s, Bandello’s und Anderer anders seyen, als Romane? Gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts schrieb Allessandro Verri seine Avventure di Saffo – gab der Abate Chiari – Schade, daß ihm Urtheil und Geschmack abgingen – Italien die Erzeugnisse seiner reichen Phantasie. Es hat sich aber in Italien eine dem Roman ungünstige Meinung gebildet, und obgleich ihn der treffliche Filangieri in seinem System der Erziehung empfiehlt, so sieht die Nation doch noch alle Romane ohne Unterschied, als der Jugend nachtheilig, und eines guten Schriftstellers unwürdig an. Wirklich hatte sich auch nach dem Abate Chiari, einem Schriftsteller, der in keiner Achtung steht, Niemand mit der Romanschriftstellerei befaßt, bis endlich in unsern Tagen David Bertolotti sein Talent auf diesem Felde versuchte. Bertolotti hat viel Fantasie, aber zu wenig Wissen und eine Schreibart, die mehr den Frauen als den Männern zusagt; er ist ein scharfer Beobachter, wird aber in seinen Darstellungen immer gleich pathetisch. Er begann mit einem kurzen Stücke (der Zipresseninsel, l’Isoletta dei cipressi), dem man nicht den Namen eines Romans geben kann, wenn man nicht auch die kleinen Novellen Boccaccio’s so nennen will; allein der Herausgeber der Gazzetta di Milano nahm keinen Anstand, ihn als den italienischen Walter Scott zu begrüßen; die Italiener lachten darüber und der Mailänder Journalist gab zu erkennen, daß er von den Romanen des Schotten nicht ein Jota verstand. Die Zipresseninsel gehört in die Klasse der sentimentalen Romane, welche ihren Schöpfern nie viel Ehre gemacht haben, und für die Jugend schädlich sind, indem sie die Einbildungskraft und die Leidenschaften erhitzen. Diesem Erstlinge ließ Bertolotti bald noch andere Romane folgen, unter denen er seiner Calata degli Ungheri den Titel eines historischen Romans gab. Das Buch ist in Kapitel eingetheilt, vor deren jedem eine poetische Aufschrift steht, und es ist somit der äußern Form nach eine Nachbildung Walter Scott’s; der Inhalt aber ist in seiner ganzen Anlage erotisch, und ein Gemälde von Charakteren (worin doch der historische Theil dieser Kompositionen bestehen soll) findet sich überall nicht. So mußte Italien um so mehr die Lächerlichkeit des Urtheils des Mailänder Journalisten einsehen. Kein Volk darf sich rühmen, einen Romandichter zu besitzen, der sich mit Walter Scott messen dürfte; aber Frankreich, England und Deutschland haben bessere als David Bertolotti. Der einzige Roman, den das gegenwärtige Jahrhundert bis in die neueste Zeit aufzuweisen hat, ist Jacopo Ortil von Toscolo. Dieser Roman ist in Briefen abgefaßt, und in mancher Hinsicht, besonders in seiner Tendenz, Göthe’s Werther ähnlich; aber das Genie Ugo Toscolo’s, die Glut seiner Leidenschaften, die Stärke seiner Beredsamkeit gaben dieser Nachahmung die Farbe völliger Originalität, und die Lettere di Jacopo Ortil, in alle Sprachen übersetzt, und innerhalb weniger Jahre gegen hundert Male in Italien neu aufgelegt, haben, von der ganzen Nation gelesen und dem Gedächtniß eingeprägt, dem damals noch jugendlichen Dichter den höchsten Ruhm gebracht, aber auch viele Herzen und Köpfe verdorben. Ugo Foscolo, der übrigens kein besseres Werk in Prosa, als seinen Ortil aufzuweisen hat, gestand, in Bezug auf die letztere Bemerkung, in seinen letzten Lebensjahren offen, daß er sich schäme, jenes Werk geschrieben zu haben. Ich halte diesen Roman für den einzigen in unsern Tagen; denn ich glaube nicht, daß sich Italien auf einige schlechte Nachahmer Toscolo’s, die Lettere d’Oriele, oder die Pianta dei sospiri

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_0758.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)
  1. Vergl. Ausland Num. 127.