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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 35. 4. Februar 1828.

Das englische Creditsystem seit Pitt.


Wenn Englands großer Minister Pitt, als Gründer des Staats-Creditsystems, welchem das brittische Inselvolk seine jetzige Wohlfahrt und Ueberlegenheit verdankt, von Mit- und Nachwelt mit Recht angestaunt und erhoben wird, so sollte doch auch dem Andenken des Mannes, welchem Pitt die erste Idee jenes Systems zu verdanken hatte, die schuldige Achtung und Aufmerksamkeit nicht entzogen werden! –

Dieser Mann hieß Schneider und war ein Bewohner des Kantons Unterwalden in der Schweiz. Sein Vater, aus einer guten Familie entsprossen und Verwandter eines Landamannes, war, vielleicht gerade dieses Umstandes wegen, ein politischer Kraftmann und Verbesserer der Verfassung seines Landes, statt deren er, als abgesagter Feind der Verschiedenheit in den Regierungs-Prinzipien der einzelnen theils demokratischen theils aristokratischen Kantons, gern eine Ordnung der Dinge eingeführt hätte, welche Allen gleiche Gesetze, gleiche Rechte und gleiche Lasten geben sollte. Kurz er hatte den großen Plan, die Schweizer Berge mit Hülfe von Jean Jacque Rousseau’s Contrat Social zu ebnen und glatt zu hobeln, wovon jedoch nichts weiter als der Gewinn eines Heftes Verfassungs-Projekte, in Franzband mit goldenem Schnitt, und der Verlust seines Vermögens die Folgen waren.

Mit solchem Erbtheil ausgestattet, begann der junge Schneider seine Laufbahn. Obwohl es bekannt genug war, daß sein Vater ihm kein bedeutendes Vermögen hinterlassen habe, so fiel es doch niemand ein, daß dasselbe sich auf ein Heft Verfassungs-Projekte beschränke, und Schneider, der als Besitzer eines geachteten Namens eines angenehmen Aeußeren, guter Erziehung und eines glücklichen Temperaments sich in den besten Häusern des Kantons zugelassen fand, verfiel daher, um seiner mißlichen Lage sich zu entziehen, auf das Anleihe-System, dessen Grundsätze er auch sofort mit eben so viel Eifer als Geschicklichkeit in Ausübung brachte. Er ließ sich verlauten, daß er 2000 Thaler zu 5 pC. auf sechs Monate brauche und erhielt ohne große Schwierigkeit die Summe gegen Wechsel von dem damals sehr bekannten Bankier Frey und Comp. – Nun war Schneider seiner Sache gewiß und beschäftigte sich nur damit, ehrenvoll und anständig zu leben. Er regelte seine Ausgaben, richtete sein Haus ein und ließ seine Umgebungen geflissentlich in das Innere seiner Wirthschaft schauen, indem er versicherte, daß mit dem Wenigen, was ihm sein Vater hinterlassen und der Frucht einiger Geschäfte, die er von Zeit zu Zeit mache, sein Auskommen gesichert sey. Diese Genügsamkeit und Ordnung wurden allgemein bekannt, gelobt, und erwarben demjenigen, welcher sie so trefflich zu üben verstand, den Ruf eines achtbaren und dabei liebenswürdigen Mannes.

Inzwischen rückte der Zahlungs-Termin des Wechsels von 2000 Thalern heran, und Schneider, welcher indessen schon von einem andern Bankier, Namens Freuler, Dienst- und Geldanerbietungen erhalten hatte, gerieth dadurch nicht in die mindeste Verlegenheit. Vielmehr entnahm er zu seinen Bedürfnissen die Summe von 3125 Thalern, deren Gebrauch er folgendergestalt festsetzte:

Ausgaben für das nächste halbe Jahr 1000 Thlr.
Bezahlung des fälligen Wechsels
     bei Frey und Comp.
2000 Thlr.
Sechsmonatliche Zinsen für 2000 Thlr. 0050 Thlr.
3050 Thlr.
Sechsmonatliche Zinsen für diese 3050 Thlr.      0075 Thlr.
3125 Thlr.

Mit solcher Habschaft durfte Schneider sich als den Herrn aller Kapitalien der Schweiz ansehen, und nur von ihm hing es ab, dieselben zu seinem Gebrauch sich zuzueignen; – doch solcher Ehrgeiz war fern von ihm; er wollte blos bequem und angenehm leben.

Obwohl nun Frey nicht im Mindesten wegen seines Wechsels in Sorge war, so beschloß sein Schuldner dennoch, denselben zu berichtigen, um die Interessen für 2 Monate zu ersparen und seinem Credit eine feste und dauernde Grundlage zu verschaffen. Er geht also zu Frey und gibt zu verstehen, daß da 5 pC. Zinsen für 2 Monate kein unerheblicher Gegenstand seyen, er, wenn der Darleiher damit einverstanden, seinen Wechsel gegen Eskonto auszulösen wünsche. Frey überschüttet ihn mit Lobeserhebungen, bewundert seine Kenntniß der Geschäfte und versichert: „Nichts sey sicherer, als sein eigenes Papier zu escontieren. Er willige aber nur unter einer Bedingung in Schneiders Verlangen, daß dieser nämlich, wenn er irgend Geld bedürfe, keine andere Kasse als die seinige in Anspruch nehme.“ Dies verspricht Schneider ohne Schwierigkeit, und wiewohl er nun das Problem gelöst sieht, ohne einen Heller eigenen Vermögens die angenehmste Existenz zu führen, so fährt er dennoch fort seinen Credit auf alle mögliche Weise zu befestigen und besonders die Zahl seiner Gläubiger zu vervielfachen, damit alle ansehnlichen Häuser

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_147.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)