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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 37. 6. Februar 1828.

Die englischen Prediger Eduard Irving und Dr. Chalmers.


Der ehrwürdige Eduard Irving ist der populärste und berühmteste der englischen Kanzelredner: seine Strenge und Heftigkeit, sein raschaufloderndes, leidenschaftliches Feuer, seine Intoleranz fanden in London ungemeinen Beifall. Ohne diese Laune der Mode zu erklären, wollen wir es wenigstens versuchen, das wirkliche Verdienst dieses presbyterianischen Geistlichen zu würdigen. Der Stern seines Ruhmes steht in seinem Culminationspunkte; eine unparteiische Kritik, gleich fern von Mißgunst wie von unzeitiger Begeisterung, wird in mehr als Einer Hinsicht nicht ohne Interesse seyn.

Ist es der Diener des Altars, fragen wir zuvörderst, den man in ihm anstaunt, ist es der Verkündiger des göttlichen Wortes, den man in ihm verehrt? Nein; es ist der Schauspieler, dessen überraschendes Auftreten an dem heiligen Orte diese Wirkung hervorbringt. Eine künstliche Versetzung der Ideen, verbunden mit einem großen natürlichen Talente der Rede, versammelte die neugierig gespannte Menge um seine Kanzel. Diese beispiellose Wirkung bezeichnet einen der hervortretendsten und zugleich bedenklichsten Charakterzüge der Gegenwart -den steten Durst nach irgend etwas Neuem. Unerwartet flammen von der calvinischen Rednerbühne die Blitze weltlicher Beredsamkeit; Shakespeare und Byron schmücken den Vortrag des Predigers; seine Gebehrden sind rasch, lebendig wechselnd und voll Anmuth; seine Sprache ist poetisch, sein Ausdruck feierlich, seine Augen füllen sich mit Thränen, sein Gesicht wird belebt von dem Feuer der Leidenschaft. Welch ausserordentliche Erscheinung! Man drängt sich um den neuen Propheten; man vergleicht ihn mit Kemble; man schmäht, oder zittert und bewundert - sein Ruf ist gemacht.

Nie war in England noch ein Mann, der sich mit Irving vergleichen ließ, auf der Kanzel aufgetreten. Die Predigten bestanden bloß aus ermüdenden theologisch-moralischen Abhandlungen, die mit abgemessenem Anstand und leiser Stimme vorgetragen, und mit all der Achtung angehört wurden, welche mit einer herzlichen Langeweile verträglich ist. Da erscheint der neue Prediger: poetisch in seiner Darstellung‚ fanatisch in seiner Lehre , mit imposantem Aeußern und donnernder Stimme. Als Mann der Kirche, als Schauspieler und als Politiker scheint er die widersprechendsten Charakterzüge in seiner Person zu vereinigen.

Der englische Gentleman, der ewigen Pferderennen überdrüßig, die Lady, ermüdet vom Lesen der Romane, der Bürger, dem das Boxen und das Fechten anfängt langweilig zu werden - sie alle laufen herbei, um das neue Wunder mit anzusehen. Ein Mann von gigantischer Größe, auf dem alten calvinischen Rednerstuhle, erklärt seinem Jahrhunderte den Krieg. Der apostolische Herkules verbindet mit den gewaltigen Verhältnissen, welche ihm die Natur verliehen, schöne Formen, und die leichte, beredte Beweglichkeit der Pantomime. Die bleiche Olivenfarbe, die scharfen Züge, die schwarzen, langgelockten Haare, die malerischen Stellungen vollenden die Illusion, und die schiefe Richtung seiner feurigen Blicke verleiht dem ergreifenden Eindruck seiner Rede und seines ganzen Wesens eine ich möchte sagen wilde Kraft.

Statt sich auf der unbequemen Bahn der Zweifel und der Dogmen zu verlieren, greift der geistliche Athlete die Philosophie, die Poesie und die ganze moderne Wissenschaft Stirn gegen Stirn an. Er kämpft mit Locke, wirft Stewart [1] zu Boden, schleudert ein Argument gegen Voltaire, gibt nebenbei den Ministern einen Seitenhieb, oder macht einen Ausfall auf ein Glied der königlichen Familie. [2] So gleicht das Ganze einem lebendigen unterhaltenden Schauspiel, das die Masse anzieht, den Neugierigen befriedigt und selbst den verwöhntesten Müßiggänger auf einige Zeit festhält.

Die religiöse Lehre Irvings enthält im Grund durchaus nichts Neues; sie gehört ganz der alten Schule des Presbyterianism an, mit ihrer ewigen Verdammniß, ihrem wilden Fanatismus und ihren Schrecken der Hölle. Längst schlummerte die barbarische Lehre unter der Asche Cromwell’s und Knox’s. Die Eleganz unsrer Salons verschmähte eine so strenge, rauhe Tugendübung. Irving aber scheute sich nicht den vergrabenen Schatz wieder an’s Licht und zu Ehren zu bringen. Bayle und Tindal, nebst allem was Ungläubige und Zweifler mit frecher Stirne hatten drucken lassen, stürzt er mit heiligem Eifer in die Flammen des ewigen Feuers, und indem er so, als Vollstrecker der göttlichen


Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_155.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2023)
  1. Dugald Steward, Professor der Philosophie in Edinburg, Verfasser des Essay on Moral science, des Life of Dr. Robertson etc. etc.
  2. Irving griff den Herzog von Sussex öffentlich in einer Predigt an, der dieser selbst beiwohnte.