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Das Ausland. 1,2.1828

eines Wagens plötzlich in eine andere Richtung zu drehen, muß nicht nur die, bei einer schweren Ladung sehr bedeutenden Reibung der Dreh-Scheiben oder Kränze, sondern auch der Widerstand der Räder an ihrem Umfange überwunden werden, welcher auf einem rauhen und unebenen Grunde, besonders wenn diese Räder in tiefen Geleisen laufen, oft so beträchtlich wird, daß die volle Kraft-Anstrengug von zweien an der Deichsel, als einem ziemlich langen Hebel, wirkenden Pferden erfordert wird, um die Räder aus solchen Geleisen und über dieselben hinaus zu drehen. Nun ist es zwar allerdings sehr leicht, durch eine Zusammensetzung von Rädern und Getrieben, Schrauben ohne Ende, oder andere dergleichen künstliche Vorrichtungen auch die schwächste Kraft dergestalt zu potenzieren, daß solche den größten Widerstand zu überwinden vermag; allein dieß ist nur auf Kosten der Geschwindigkeit möglich, und man erhält hiedurch nur eine sehr langsame Bewegung. Hier wird aber Kraft und Geschwindigkeit zugleich erfordert, da es, besonders bei sehr schnellem Fahren, oft auf einen Augenblick ankömmt, und das ernsthafteste Unglück entstehen kann, wenn die Wendung nur um eine Sekunde zu spät erfolgt. Ich setze z. B. den Fall, unsere Dampf-Postkutsche müsse im schnellsten Laufe von der Mitte einer nicht ungewöhnlich breiten Straße gegen den Rand derselben hinaus sich wenden, so wird, wenn das Vordergestelle nicht augenblicklich wieder in eine mit dem Rade parallele Stellung zurück gedreht wird, und seine schräge Richtung nur um eine halbe Sekunde zu lang behält, der mit seinem vollen Momente fortrollende (im Schuß befindliche) Wagen, unvermeidlich in den Graben stürzen. Dieses Unglück kann aber, außer dem Mangel an hinreichender Kraft des vorne sitzenden Wagenlenkers, auch durch das kleinste Versehen von seiner Seite, oder eine zufällige Stockung oder Unordnung in dem zur Wendung gehörigen Maschinenwerke, durch ein zwischen die Zähne der Räder und Getriebe derselben eingeklemmtes Steinchen oder Sandkorn, wodurch das Umdrehen plötzlich gehemmt wird, sehr leicht herbei geführt werden.

Ich übergehe eine Menge anderer Unbequemlichkeiten und Unannehmlichkeiten von geringerer Bedeutung, mit welchen das Reisen auf solchen Dampf-Postwagen unvermeidlich verknüpft wäre, und mache nur noch auf den gewiß häufig eintretenden Fall aufmerksam, daß durch irgend einen bedeutenden, nicht auf der Stelle zu reparirenden Bruch an dem complizirten Dampf-Maschinenwerke dieses mitten auf dem Wege unbrauchbar werde. Da steht nun unser Eilwagen auf Einmal stockstille, und es bleibt den Passagieren nicht anders übrig, als auszusteigen, und ihren Weg zu Fuße fortzusetzen, oder gewöhnliche, mit Pferden bespannte Wagen holen zu lassen. –

Ich habe über die praktische Ungereimtheit aller Projekte von Dampfwagen auf gewöhnlichen Straßen überhaupt meine Meinung schon vor 12 Jahren in einer dahier erschienenen kleinen Abhandlung,[1] und seither bei mehreren Gelegenheiten in des Herrn Doctor Dingler’s polytechnischem Journal ganz bestimmt und unverholen ausgesprochen, und ich finde noch keinen Grund, diese meine Meinung zurück zu nehmen, oder den allerneuesten Versuchen der Herren Gurney und Gordon ein besseres Schicksal zu prophezeien, als alle ihre Vorgänger gehabt haben. –

Die Engländer, welche den Werth des kostbarsten und unersetzlichsten aller Erdengüter, der Zeit, besser als alle andern Nationen zu schätzen wissen, und welchen daher unsere gewöhnliche Art zu reisen viel zu langsam und langweilig ist, sind schon längst darauf bedacht gewesen, ihren Post-Einrichtung auch in Hinsicht auf Schnelligkeit den höchst möglichen Grad von Vollkommenheit zu geben. Wirklich reist man in keinem Lande so schnell als in England, wo die Postwagen (Mailcoaches) welche, nebst Passagieren, auch die Brief-Felleisen führen, und die Post-Chaisen gewöhnlich 10 engl. Meilen (gegen 4½ Stunden Weges) in einer Stunde zurück legen. Man würde sich indessen sehr irren, wenn man diese außerordentliche Schnelligkeit der vorzüglichen Güte der englischen Straßen zuschreiben wollte, welche im Durchschnitte nicht viel besser, und in der Nähe von London und andern großen Städten, wo eine ungeheure Frequenz Statt findet, fast eben so schlecht sind, als die unsrigen. Das ganze Geheimniß der Engländer bei dieser Vervollkommnung besteht darin, daß sie auf allen Poststationen, welche in der Regel sehr kurz sind, die besten Pferde vom kräftigsten und größten Schlage halten, und diese ganz schonungslos zu Tode jagen. Die Abnützung (wear and tear) dieser edlen und kostbaren Thiere ist aber auch dort so ungeheuer, daß von ungefähr 100,000 Pferden, welche in England blos zum Postdienste beständig verwendet werden, im Durchschnitte jährlich wenigstens 18,000 (ungefähr 50 auf jeden Tag) als Opfer der grausamsten Anstrengung fallen. In der Nähe von London dauert kein Postpferd länger als 3 Jahre. Die ersten dortigen Postmeister, Mr. Waterhouse und Mr. Horne, deren Jeder 400 der schönsten Pferde hält, müßen, um ihre Zahl (Stock) beständig voll zu erhalten, ein Jahr ins andere, jeder 150 neue Stück ankaufen. Auf jedem Zuge von 200 englischen Meilen (90 deutsche Meilen) rechnet man im Durchschnitte zwei todte Pferde. Es ist dort nichts Seltenes, daß so einem armen Thiere, in der höchsten Anstrengung, ohne zu fallen, ein Fuß abbricht, oder daß es unter den Peitschenhieben seines Schinders, mit einem aus Maul und Nasenlöchern hervorstürzenden Blutstrome, todt zur Erde fällt![2]

Um den mit diesem barbarischen Systeme verbundenen Kostenaufwand (der Ankauf eines brauchbaren Post-Pferdes beträgt nie weniger als 20 Pfund Sterling) zu ersparen, und wo möglich noch schneller von einem Orte zum andern zu kommen, hat man daher schon vor vielen Jahren das Projekt gemacht, statt der so kostbaren Thierkräfte die wohlfeilere und mächtigere Kraft des Wasserdampfes zum Fortschaffen der Postwagen anzuwenden, und, um dieses auf die vortheilhafteste Art zu bewerkstelligen, wollte

  1. Bemerkungen über die von Hrn. von Reichenbach angekündigte Verbesserung der Dampfmaschinen und die Anwendung derselben auf Fuhrwerke. München, 1816, bei F. S. Hübschmann. 8.
  2. S. Observations on a general Iron Railway, by Thomas Gray. London, 1825. s. 15 u. 16, 53 u. 54.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_185.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)