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Das Ausland. 1,2.1828

frühesten geselligen Vereine, der Religion, zu befriedigen suchte. Wenn es wenige Wahrheiten giebt, die nicht in Asien ihre Lehrer und Schüler fanden, so giebt es auch wenige Ausschweifungen des Geistes, die dort nicht in Ehren gehalten wurden. Schon die bloße Namenaufzählung der vielfachen Religions- und Götzendienste, welche im Orient auf einander folgten, setzt den ruhigen, verständigen Beobachter in schmerzliches Erstaunen. Die Abgötterei der Sabäer, die Verehrung des Feuers und der Elemente, der Islamismus, die Vielgötterei der Brahmanen, Buddhisten und der Anhänger des großen Lama, der Dienst der Gestirne und die Vergöttlichung der Vorfahren, die Lehre der Geister und Dämonen, endlich so viele untergeordnete oder weniger bekannte Sekten, einander gegenseitig überbietend durch unsinnige Dogmen und bizarre Gebräuche – zeigen sie nicht alle wie groß dort die Verschiedenheit der Ansichten in einem so wichtigen Punkte ist? Und welche Festigkeit und Stetigkeit soll in der Moral, den Gesetzen und Gewohnheiten herrschen, wenn auf diese Weise die Grundpfeiler jeder Moral, jeder Gesetzgebung und überhaupt jedes geselligen Lebens schwanken und sinken? Ueberdies ist es nicht blos ein einzelnes Volk, nicht blos ein einzelner Volksstamm Asien, welche man diesen geistigen Fluctuationen unterworfen sieht: jedes Volk, jeder Stamm hat zu diesem ungeheuern Vorrath von Verstand und Narrheit sein Contingent geliefert, und fanatisch Theil genommen an dem Wechsel des Glaubens und der Vorurtheile, so daß sich daraus, ganz gegen die allgemein herrschende Ansicht, der Schluß ergiebt, daß bei diesen Völkern, die auf der einen Seite so hartnäckig an den alten Ideen hängen, doch das Bedürfniß einer Veränderung stets über die Macht der Gewohnheit und die Herrschaft der Nationalvorurtheile dem Sieg davon trägt, und ein neues System immer bei ihnen Glück macht.

Die alten Araber verehrten die Gestirne, und aus dem Schooße dieses Götzendienstes (des schönsten, wenn es erlaubt wäre, den Künstler mit seinem herrlichsten Werke zu verwechseln) gieng jener Reformator, der eifrigste Lehrer der Einheit Gottes hervor, dem man fast allein vorwerfen kann, die Folgerungen dieses Dogmas zuweit getrieben zu haben. In unsern Tagen erstand unter diesen Völkern, (welche das Joch des Islamismus sowohl ihren Besiegten, den Persern, als ihren Siegern, den Türken, aufgelegt hatten) plötzlich eine neue Lehre, der es vielleicht blos deßwegen, weil sie zu geläutert ist, bis jetzt nicht gelang, über den Koran zu triumphiren.

Die alte Religion Hochasiens erlitt eine bedeutende Reform zuerst zur Zeit Zoroasters, und änderte von da an bis zur Eroberung Persiens durch die Khalifen noch zwei oder dreimal ihre Gestalt. China, ein Uebel durch das andere vermeidend, schützte sich vor dem Götzendienste lange Zeit durch seine Indifferenz, und doch war es schon zu Confucius Zeit in zwei Hauptreligionen und vier oder fünf einander widersprechende philosophische Systeme getheilt. Später gesellte sich den beiden ersten noch ein dritter Religionskultus bei, und alle drei sind nun in Besitz eines Reichs, das ein Drittheil des Menschgeschlechts seine Unterthanen nennt. Während die Gebildeten der Lehre des Confucius anhängen, neigt sich die Mehrzahl zu demjenigen Kultus, der am meisten zur Imagination spricht: eine ganz eigenthümliche Erscheinung aber möchte seyn, daß es daselbst Leute giebt, welche zu allen drei Kulten zumal sich bekennen, ohne daß es ihnen einfällt, sie vereinigen zu wollen.

Auch Tibet und Japan erhielten von Indien jene wandernde Religion des Buddha, welche das Festland wie die Inseln durchlief, die Hirten der Thäler des Himalaya und die stolzen Reiter Turkistans bildete, und auf den unzugänglichen Höhen Tibets, wie in den Sandwüsten der Tartarei Klöster und Bibliotheken gründete. Man hat den Buddhaismus das Christenthum des Orients genannt; es liegt einige Uebertreibung in diesem Ausdruck, aber er weist wenigstens auf die wichtigen Dienste hin, welche beide Religionen der Menschheit geleistet haben.

Indien endlich, diese ungeheure Länderstrecke, scheint alle Gegensätze in sich zu vereinigen, alle Widersprüche in seinem Schoße zu pflegen, und die Urquellen beinahe aller Philosopheme in sich verborgen zu halten. Dort erstanden die subtilsten Metaphysiker, wie die plumpsten Götzendiener, und ohne daß Fremde sich einzumischen brauchten, folgten sich die widersprechendsten Glaubenslehren. Ewig kann Indien wechseln, indem es stets nur aus seinem eigenen Grunde schöpft. Immer bleiben es dieselben Bücher, die hier schon seit den entferntesten Zeiten sich finden, aber stets werden sie auf andere und wieder andere Weise erklärt. Man findet in ihnen jeden Sinn, den man sucht, und die Keime der allerentgegengesetztesten Doctrinen. Die gleiche Stelle des gleichen klassischen Textes beweist, je nachdem man sie gerade auslegen will, daß man nur Einen Gott, oder daß man Millionen Götter anbeten soll; daß Alles oder daß Nichts Gott ist, d. h. – wie die geschickten Interpreten sogleich hinzuzusetzen sich beeilen – daß Gott Nichts von dem ist, was wir begreifen können, und Alles das, was wir nicht begreifen können. Einst hatten die Indier das gehässige System der Kasten gegründet; später schafften sie es ab; dann aber führten sie es wieder ein, und beugen sich nun strenger als jemals unter dessen Joch. Noch jeden Tag bilden sie sich neue Gegenstände der göttlichen Verehrung. Vor einigen Jahren ward selbst der cholera morbus, unter dem Namen der Göttin Ola Bibi, die Ehre der Apotheose zu Theil, und vielleicht erleben wir es, daß man diese Ehre auch einmal der ostindischen Compagnie zuerkennt, welche das gute Volk von Bengalen, das stets von ihr sprechen hört, ohne sie je gesehen zu haben, für eine alte, mächtig reiche Dame hält, die weit über dem Meere wohnt, ein höchst zähes Leben hat, und besonders äußerst viel Geld braucht.

(Fortsetzung folgt.)


Briefe aus Sumatra von einem Holländer.


(Fortsetzung.)

Auch selbst unter den Verbrechern, besonders unter denen der ersten und zweiten Klasse, ist ein gewisses Wohlbehagen

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_217.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)