Seite:Das Ausland (1828) 252.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828


Ketzerei der modernen Neuerer. Mit weniger Bitterkeit, haben neuere Schriftsteller den Buddhismus nicht günstiger beurtheilt, denn sie haben nach den Chinesen versichert, daß es die Lehre vom Nichts sey, daß nach Schakia-Muni das Nichts das Princip des Seyns sey , daß alle Wesen nur eine Scheinexistenz haben, kurz daß die buddhistische Metaphysik ein vollkommner Nihilismus sey.

Allein alle diese Vorwürfe beruhen nur auf einer Sylbenstecherei, die man sich bei einigem Nachdenken hätte ersparen können, denn wen wird man überreden können zu glauben, daß ein vernünftiger Mensch im eigentlichen Sinn und ohne Bild habe sagen können, daß das Nichts das Seyn geschaffen habe, daß die Nichtexistenz das All hervorgebracht, daß das absolut Leere der Grund der Welt sey? Sind nicht diese Ausdrücke so handgreiflicher und offenbarer Unsinn, daß man den, der sie im Ernste wiederholt, für wahnsinnig erklären müßte, und ist man nicht eben dadurch genöthigt zu untersuchen, ob diese Formeln nicht etwas Zweideutiges haben, das uns Hoffnung ließe bei genauerer Betrachtung in der scheinbaren Absurdität einen Sinn zu finden? Dieß ist schon bei einer oberflächlichen Untersuchung dieser buddhistischen Sätze durch unbefangenere Richter geschehen. Die Worte, welche man durch Nichts, Nichtexistenz, das Leere übersetzt, und wonach man zwar spitzfindigen, aber doch vernünftig organisirten Menschen wahnsinnige Lehren zugeschrieben hat, bedeuten nur die Negation materieller Attribute, der Körperlichkeit und der Ausdehnung. Wenn man aber zugleich findet, daß von diesem Nichts gesagt wird, es habe kein Herz um es zu bewegen, keinen Gedanken, es zu betreiben, keinen Verstand, damit zu schließen; daß es einfach, rein, unkörperlich, unveränderlich, unverderblich, vollkommen, intelligent sey; daß alles aus ihm komme, und zu ihm zurück kehre; daß es das Urprincip und die Ursache aller Dinge sey: kann man da den Sinn einer solchen Benennung mißverstehen, und etwas anderes darin finden, als das Absolute der Pantheisten, die Ursubstanz, die keine Attribute und Verhältnisse hat, die unabhängig von allem existirt, in der alles ist, kurz eine der Formen, welche die Einbildungskraft des Menschen dem höchsten Wesen leiht, und eine deren Bildung wenigstens ebensoviel Erhabenheit und Kraft des Geistes voraussetzt, als jede andere, wenn sie auch nicht besser als die andern die unaussprechliche Würde ihres Gegenstands ausdrückt. So stehen die Buddhisten in ihrem Grunddogma auf derselben Linie, wie die Braminen von der Schule der Vedanta, wie die Stoiker, die Sufi’s, die gelehrteste und reinste aller muhammedanischen Sekten, und wie einige neue Schulen des gebildeten Abendlands. Man kann ihnen freilich die Spitzfindigkeit ihrer Lehren vom beschaulichen Leben, und einen ungemessenen Mysticismus vorwerfen, allein eben diese Fehler sind der großen Einfalt, die man bei ihnen voraussetzt, völlig entgegengesetzt; denn sie sind Folge unausgesetzten Grübelns über Dinge, in denen der Mensch nie zur Klarheit kommt. Sobald man aber zugiebt, daß die Anhänger dieser Religion den Begriff von Geist, verschieden von der Materie und ihr entgegengesetzt durch seine höhere Natur und seine Attribute, haben, so sehen wir in dem, was früher in ihrer Geheimlehre dunkel und widersprechend war, eine Reihe von Ideen und Ansichten, welche eine, wo nicht hinreichende, doch beachtenswerthe Auflösung der großen Räthsel der Existenz enthalten.

Das Leere oder das Absolute ist zwar seinem Wesen nach ewig, unveränderlich und unabhängig, aber doch hat sein Urzustand sich in einen minder vollkommenen verändert, wo die Scheinexistenz der Materie die Abhängigkeit, die Veränderlichkeit, die Zeit, die Individualität und die materiellen Zustände und Verhältnisse, welche davon abhängen, wie Gedanken, Gefühle, Leidenschaften, hervorgebracht hat. So sind alle Wesen in größern oder kleinern Entfernungen von dem Urwesen, und haben eine mehr oder minder große Neigung sich ihm wieder zu nähern. Der Mensch hat vor seinen Augen den Bilderspiegel, den man Welt nennt; wenn er stirbt so wenden sich seine Blicke von den eiteln Bildern, welche er ihm zuwarf, und sie haben aufgehört für ihn zu existiren, oder vielmehr, sie haben nie wirklich existirt. Die Seele des Menschen muß gleichsam über einen breiten Fluß setzen, um sich dem großen Wesen zu nähern, und sich mit ihm zu vereinigen; im Uebersetzen verliert sie alle, was ihre Natur verkehrt hatte, ihre Leidenschaften, Gefühle, Neigungen, Gedanken, und ihre Ichheit; aber die Meditation, die eben das Mittel ist, diese Unvollkommenheiten abzuwerfen, giebt ihr an wahrer Intelligenz was sie an Scheineigenschaften verliert. Sie ist unzerstörbar, und nähert sich, solange sie durch individuelle Existenz an die drei Welten gebunden ist, dem Aufgehen im Absoluten, das ihr Ziel ist, durch Beherrschung und Vernichtung ihrer materiellen Kräfte, oder entfernt sich von ihrem Zweck durch Nachgiebigkeit gegen ihre Neigungen. Das Ziel, dem sie nachstreben muß, ist Vernichtung des Ich, und die verschiedenen Grade von Unvollkommenheit, welche sie davon trennen, sind in der exoterischen Lehre durch die Stufen der Seelenwanderung, vom Thiere bis zu den Genien, bezeichnet. Daher sind auch in dieser Lehre die gereinigten Menschen,- wie die Rahan, die Inkarnationen des ersten und zweiten Grads, genannt Buddha’s und Buddhisatwa’s, endlich die Deva’s, welche die Buddhisten aus der braminischen Mythologie beibehalten, - keineswegs Götter, sondern Seelen, welche in dem Pfad der Reinigung mehr oder minder bedeutende Fortschritte gemacht haben. Dabei gelten die tugendhaften Handlungen freilich für ein Mittel, allein das wirksamste ist die Contemplation und die Extase. Daher kommt diese Neigung zur Unthätigkeit, welche diese Seite mit den alten chinesischen Philosophen theilt, und welche gegen beide Schulen die heftigen Anklagen der Anhänger von Confutse erregt, und zum Theil gerechtfertigt hat; denn die Wirkung welche die Einführung des Buddhismus überall hervorgebracht, sind zahllose Mönchsklöster, eine mehr oder minder theokratische Regierung und die Unterdrückung der Kraft und Männlichkeit, welche zur völligen Entwickelung des menschlichen Geistes nothwendig sind. Tibet und die Tartarei sind dieser Erschlaffung unterlegen, aber die literarischen Institutionen von China haben sie mit Erfolg bekämpft.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_252.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)