Das Ausland. 1,2.1828 | |
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Scene auf keine Weise zu arrangiren, ebenso sichtbar ist,
als der des Gegentheils bei den Schülern David’s; dieß
waren die Eigenschaften und die Fehler, welche jenes Gemälde
zu einem der merkwürdigsten der Ausstellung machten.
Die Ausführung war bei weitem weniger frei, als
die des Gemäldes von Gericault, aber für diesen Fehler
entschädigte eine große Energie des Tons. In dem
Gemälde Sigalon’s, die Giftmischerin Locusta, vergaß
man über der kräftigen Färbung und der energischen
Manier die schlechte Wahl des Gegenstandes. Das Gemälde
von der Schlacht bei Ravenna von Scheffer
zeigte die Absicht des Künstlers, der historischen Wahrheit
treu zu bleiben; die Composition bot nichts von theatralischen
Zurüstungen dar, die man in den meisten großen historischen
Gemälden zu sehen gewohnt war; und obwohl
es eine Hauptperson darin gab, so nahm ihre Gegenwart
doch nicht die ausschließliche Aufmerksamkeit des Zuschauers
in Anspruch. Die Köpfe hatten Wahrheit und
waren nicht ohne Ausdruck; der Ton des Ganzen war
glänzend, doch schadete eine zu flüchtige Ausführung dem
Gesammteindruck. Obwohl sorgfältiger und correcter, erinnert
Saint-Evre in seinen Gemälden uns doch etwas zu
sehr an die Manier von Delacroix. Dasjenige von seinen
Werken, welches besonders die Aufmerksamkeit erregte,
war eine Frau in einem Kirchhofe; der Ausdruck
dieser Figur war von der überraschendsten Wahrheit.
Unter den Malern, welche, nachdem sie eine Zeitlang die Bahn der classischen Schule verfolgt hatten, sich jetzt eine weniger betretene suchten, müssen wir zuerst Ingres nennen. Er hatte sich in seinen ersten Werken durch Uebertreibung des alten Styles bemerklich gemacht; aber der Monotonie, welche diese Manier begleitete, überdrüssig und zugleich - wie es scheint - von der Idee getroffen, daß die Malerei herabgewürdigt würde, wenn man ihr gewaltsam den Typus der Bildhauerkunst aufdrängte, beschloß er die Muster auszusuchen, welche die Malerei selbst in ihrer Jugend und Originalität darböte. Man wird wenigstens versucht, diesen Gedanken Ingres zu leihen, wenn man sieht, daß er nach einem Zwischenraume, der auf neue Studien hindeutete, plötzlich seine Manier nach der der Jugendjahre Raphaels ummodelte. Nach einem langen Aufenthalt in Italien sandte er, bei seiner Rückkehr nach Frankreich, eine große Composition, das Gelübde Ludwig XIII voraus. Das Gemälde erregte große Ueberraschung, es war eben so weit von der Schule David’s, als von der neuen eines Delacroix, Sigalon und Scheffer verschieden. Die Gruppe der Jungfrau rief die Anmuth der Madonnen Raphaels zurück; die Gestalt Ludwigs XIII schien nach einem Miniaturbilde des Mittelalters gearbeitet; der Hintergrund war mit ängstlicher Genauigkeit ausgeführt, wie in der deutschen Schule. Ungeachtet dieser Reminiscenzen überraschte und gefiel das Ganze des Gemäldes durch seine Originalität. Das große Gemälde, das von Schnetz aus Rom gesandt wurde, und die heilige Genovefa, wie sie Almosen unter die Bewohner von Paris vertheilt, darstellte, zeichnete sich durch schöne Zeichnung, sichere Haltung, Köpfe, den schönsten römischen Typen nachgebildet, aber auch durch einen gänzlichen Mangel von localer Wahrheit und historischer Treue aus. Ein anderes Gemälde desselben Künstlers, ein Zug aus der Jugend Sixtus V, war eine der vollendetsten Productionen in der Ausstellung von 1824.
Eine Scene aus der Plünderung von Jerusalem, von Heim, erinnerte an die schöne Zeit von Raphael; er sagte sich gleichfalls von den hergebrachten Ansichten los, welche seine ersten Arbeiten geleitet hatten. Coignett behandelte in einer Gruppe aus dem Morde der unschuldigen Kinder diesen so oft wiederholten Gegenstand auf eine neue und großartige Weise, und gab dadurch selbst die schärfste Kritik des Marius, den er ein Jahr zuvor in Rom unter dem Einflusse der classischen Schule componirt hatte. Neben diesen Produktionen bemerkte das Publikum die Gemälde von Steube und Delaroche. Der erstere hatte mit eben so viel Simplicität als Größe den Schwur der drei Schweizer auf dem Rütli, der zweite mit treffender Wahrheit eine Predigt des heiligen Vincenz von Paula dargestellt. Unter den Genregemälden, deren diese Auestellung eine große Anzahl der ausgezeichnetsten enthielt, zogen vorzüglich die von Robert die Aufmerksamkeit durch schöne Behandlung und außerordentliche Kraft auf sich.
Drei Jahre sind vergangen von der Ausstellung des Jahres 1824 bis zu der gegenwärtigen. Wenn man die Säle des Leuvre betritt, wird man zuerst durch die Mannigfaltigkeit unter den Gemälden überrascht, mit denen sie geschmückt sind. Zur Zeit des Glanzes der classischen Schule war der Anblick der Ausstellungen sehr einförmig; im Jahr 1824 war diese Einförmigkeit bereits auf eine gewisse Anzahl von Gemälden herabgebracht; gegenwärtig aber bieten fast alle Bilder Verschiedenheiten dar, welche von der größten Unabhängigkeit in den Ansichten über den Zweck der Kunst, wie in der Behandlung ihrer Hülfsmittel zeugen. Obgleich die Ausstellung bereits sehr zahlreich war, als wir sie besuchten, so war sie doch noch keinesweges vollständig, indem die wichtigsten Arbeiten von Delacroix, Scheffer, Steube, Delaroche, Robert und Champmartin bis auf den letzten Monat ihrer Dauer auf sich warten ließen. Es war uns also nicht möglich, die gesammten Fortschritte dieses Jahres und die Lage der Schule in einem Ueberblick zu umfassen; wir beschränken und deshalb darauf, zu sagen, daß die historische Malerei, um dieses Wort in seiner weitesten Bedeutung zu nehmen, ihrer vollkommenen Entwicklung entgegen geht und einen immer höheren Grad von Bestimmtheit und Kraft erreicht. Neue Namen, wie die von Deveria, Boulanger und Court haben die Zahl der Reformatoren und Unabhängigen vermehrt.
Von den drei Gemälden, mit denen diese jungen Künstler auf so glänzende Weise ihre Laufbahn eröffnet haben, vereinigt das von Deveria im höchsten Grade alle Eigenschaften, welche der dargestellte Gegenstand forderte. Der Maler hat den Augenblick gewählt, wo der alte Henri d’Albert dem Volke von Bearn seinen Enkel, den eben gebornen Heinrich IV, zeigt. Wenn ein junger Künstler, von dem Alter Deveria’s, einen Stoff dieser Art im Jahr
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_270.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)