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Das Ausland. 1,2.1828

1812 oder selbst 1820 hätte behandeln wollen, so wäre man im Stande gewesen, mit der größten Gewißheit, den Character des ganzen Gemäldes und die Disposition seiner Figuren vorauszusagen. Im Vordergrunde würde eine Gruppe von Rittern figuriren, die in der Stellung der Horatier, die Arme und Beine ausgestreckt, dem königl. Kinde Treue schwörten; die übrige Composition aber würde einer so neuen und rührenden Episode nicht unwürdig seyn. Was wir hier sagen, ist keine willkürliche Voraussetzung; die zahlreichen Gemälde, welche die Geburt des Königs von Rom, oder die des Herzogs von Bordeaux darstellen, geben den Beweis davon. Hier dagegen scheint alles mit der größten Gutmüthigkeit vor sich zu gehen: das Volk, welches sich zu den Thüren des Gemaches drängt, ist furchtsam, verlegen und befangen in seinen Freudenbezeugungen, die Weiber, welche die Wöchnerin umgeben, beschäftigen sich mit nichts als den Dienstleistungen, welche ihr Zustand verlangt, und die Personen, deren Rolle eine passive seyn muß, zeigen sich völlig auf dieselbe beschränkt. Alles ist wahr und an seinem Platze; nirgends bemerkt man das Bestreben, Effect zu machen, noch die Bemühung, Geist zu zeigen. In technischer Hinsicht zeichnet sich dieß Gemälde durch brillantes Colorit, durch Köpfe, die oft schön, nicht selten vom treusten Ausdruck sind, durch sorgfältig gezeichnete und gut gemalte Hände aus; aber zugleich wird dasselbe durch grobe Fehler in der Proportion und Zeichnung der Figuren und durch eine Manier, die zu sehr an die der venetianischen Schule erinnert, entstellt: Fehler, die Deveria in der Folge zu vermeiden suchen sollte.

Boulanger ist der Freund und Studiengefährte Deveria’s; aber durch nichts in seiner Manier wird dieß verrathen: sein Colorit, weniger brillant, aber gehaltener, seine Composition, lebendiger und nicht weniger wahr, seine kräftigere und kühnere Manier – besonders diese letzte Eigenschaft ist es, wodurch sich sein „Mazeppa“ auszeichnet. Daneben zeigen schülerhafte Ungenauigkeiten, Uebertreibungen und Ungeschicklichkeiten in den Stellungen, daß es ein erstes Gemälde ist; aber es ist das erste Gemälde eines Mannes, der – wenn er sich nicht verirrt – eines Tages mit Auszeichnung in den Reihen der französischen Schule gesehen werden wird.

Ueber das ungeheure Gemälde von Court ist bereits bei seinem ersten Erscheinen in den Sälen der Akademie so viel gesagt worden, daß wir hier weder das Lob wiederholen wollen, noch den Tadel, mit denen dasselbe überhäuft worden ist. Wir bemerken nur, daß der junge Künstler wohl daran gethan hat, jede Affectation classischer Erinnerungen, zu denen die Wahl seines Gegenstandes ihn so leicht führen konnte, zu vermeiden. Wir fügen hinzu, daß er sich bemühen muß, seinem Talent einen entschiedenen Charakter zu geben. Es ist gut, Niemanden nachzuahmen; dieß ist aber nicht hinreichend; man muß seine Individualität auf tiefe und originelle Weise zeigen. Um in der Kunst die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und zu fesseln, muß man seinen Werken das Gepräge der Neuheit und schöpferischer Kraft geben; sonst wird man eben so schnell vergessen, als der Nachahmer, der sich sclavisch auf dem allgemein betretenen Wege hält.

(Schluß folgt.)

Ismaïl Gibraltar in Europa.


(Schluß.)

Nach einigen Tagen gingen sie wieder unter Segel. Panajotti, stets zufrieden mit sich selbst, sang seine griechischen Lieder und seine Litaneien. Statt aber in der Themse einzulaufen, finden sie sich auf einmal wieder vor Gibraltar. Ein paar Wochen darauf gelangen sie nach Cadix. Fröhlich auf Frankreich zusteuernd, erreichen sie die gefährliche Bucht von Biscaya. Plötzlich ändert sich der Wind, das Meer geht hoch, und von ferne rollt der Donner; Panajotti weiß nicht was anzufangen. Ismaïl will, daß man die Pumpen in Bewegung setzen soll. Aber weder die Schiffmannschaft noch die unter Wegs mit aufgenommenen Reisenden waren von der Art, daß sie sich im Sturme zu helfen gewußt hätten. Der Grieche warf sich auf die Knie vor einem kleinen Bilde des heiligen Spiridion, die Malteser beteten zu St. Johannes und der heiligen Jungfrau, die Türken riefen ihren Propheten an. Ein Jude, den man, um den Sturm zu beschwören, ins Wasser werfen wollte, war noch am schlimmsten daran. Segel und Masten gingen zu Grunde und halb zerstört ward endlich das Fahrzeug, ein Spiel der Wogen, in den Hafen von Bordeaux geworfen. Dort erfuhr Ali Bonaparte den Unstern der Reisenden, und schickte ihnen Hülfe. Das Schiff ward ausgebessert, und an die Stelle Panajottis, der im Sturme nicht nur das Steuer sondern auch den Kopf verloren hatte, kam ein gefangener Engländer, dem die französische Regierung großmüthig erlaubte, Ismaïl als Pilote zu dienen.

Acht Monate bereits waren sie auf dem Meere herumgeirrt, gleich einer Flaumfeder, die ein Knabe in die Höhe bläst, und die nun der Wind bald da, bald dorthin weht. Nun aber, unter des erfahrnen Britten sicherer Leitung, flog das Schiff mit vollen Segeln England zu. Wenige Tage waren verflossen; Ismaïl saß, mit seiner Pfeife im Munde, gerade auf dem Verdeck, als in der Ferne große weiße Felsenwände sich seinem Blicke zeigten. Fahrzeuge von jeder Größe durchschnitten die Wellen nach allen Richtungen; eine thätige Bevölkerung drängte sich an den Ufern – das war ein Leben, eine Bewegung, eine Verwirrung und ein Lärm, daß Ismaïls Augen müde und seine Ohren fast betäubt wurden. Längs der Küste hin erblickte er Festungswerke, Städte, Dörfer in langer Kette; ein Kranz von Schiffen umgab die Insel, deren grüne Rasen einen lebhaften Gegensatz gegen den düstern Himmel und die weißen Felsen bildeten. Ismaïl wollte es Anfangs gar nicht glauben, daß dieß schon England sey. Das Wunder einer solchen schnellen Ueberfahrt überstieg allen Glauben. Und als man ihm nun die Gewißheit gab, wie oft rief er da aus: „Allah ist groß! Allah ist groß!“

Wir wollen uns nicht dabei aufhalten, zu beschreiben, wie häufig er während seines Weges vor Erstaunen stille stehen mußte, über die Diligencen, die schnell wie der Wind dahinflogen, über die Chausseen und die gothische Kathedralen. Panajotti, der ihn begleitete, hatte, seitdem er wieder festen Boden unter sich fühlte, den Gebrauch seiner

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_271.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)