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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 66. 6. März 1828.

Washington Irving’s Columbus.

(Life and Voyages of Columbus. 4 vls. 8. London 1828.)

In dem stillen Kampfe, den in unsrer Zeit unter den manchfachsten Formen die historische Wahrheit mit der ungebundenen Freiheit des Dichters, des bildenden Künstler wie des Philosophen führt, und in welchem sich im Gebiete des Geistes nur die, auch den Bewegungen der Außenwelt zu Grunde liegenden Gegensätze reflectiren, – in diesem Kampfe kann es als ein entscheidender Triumph der Geschichte über die Dichtung betrachtet werden, daß zwei Dichter, welche die beiden stolzesten Nationen der Welt bisher zu ihren größten zählten, Scott und Irving, plötzlich ihrer Romanhelden überdrüssig, es sich zur Aufgabe machten, zwei hohe Gestalten der Wirklichkeit zu schildern, jenen Mann, der jenseits der Meere, und jenen, der in seinem gewaltigen Geiste eine neue Welt suchte. Indessen schien Walter Scott’s unglücklicher Versuch eine schlimme Vorbedeutung für Washington Irving’s Unternehmung, um so mehr als alle bisherigen Werke des letzteren ziemlich leichter Natur waren. Ein gefälliger, humoristischer und eleganter Styl, jedoch ohne Feuer und Energie, mochte wohl trefflich zu heitern Skizzen und flüchtigen Erzählungen passen, schien aber wenig geeignet, um sich damit an die ernste Majestät der Geschichte wagen zu können. Dennoch war der Amerikaner um vieles glücklicher, als der doch ungleich geistreichere Schotte.

Durch die nahe Gegenwart seines Helden verlor Scott jene Unbefangenheit der innern Anschauung, die ihn allein fähig gemacht hätte, die Züge des großen Kaiserbildes treu und wahr wiederzugeben.

Napoleon war sein Zeitgenosse und der Gegner seines Volks: Scott, statt ihn mit dem feinen psychologischen Blick, der ihn sonst ausgezeichnet hatte, zu studieren, fühlte sich aufgefordert gegen ihn zu kämpfen. In dem Augenblick aber, wo die Leidenschaften der Gegenwart ihm das Auge trübten, hörte er auf Dichter zu seyn, d. h. verlor er die Fähigkeit, seinen Helden objectiv aufzufassen, und ihn mit dem ihm sonst in so hohem Grad eigenen Talent vor den Leser hinzumalen. Deßwegen ist in den neun Bänden von Scotts Napoleon keine Spur von der in seinen übrigen Werken so glänzenden Darstellungsgabe. Hatte er aber der großen Persönlichkeit gegenüber einmal aufgehört Dichter zu seyn, so mußte der kleine Mann, ohne Kraft und Gesinnung, als Kämpfer gegen die Riesengestalt der Zeit, eine um so jämmerlichere Figur spielen. Hätte der Gott ihn begeistert, so wäre er fähig gewesen, als Sänger sich neben den Helden zu stellen; von ihm verlassen aber mußte der Zauberstab des Dichters in der Hand des engherzigen Britten nur zum gemeinen Gänsekiel werden, den er, lächerlich genug, gegen das blitzende Schwert des Kaisers erhob.

In reinem Gegensatze gegen diese Erscheinung ward Irving, statt durch seinen Helden erdrückt zu werden, vielmehr durch ihn gehoben.Der Entdecker Amerikas mußte den Sohn Amerikas begeistern; und beides, die Wahl sowohl als die Ausführung, legt ein ehrenvolles Zeugniß für Irvings Gesinnung ab, wenigstens gewiß ein ehrenvolleres, als jene Sucht seiner frühern Werke, worin der freigeborne Republikaner des jungen Amerikas den aristokratischen Eitelkeiten des alten Europas den Hof macht. –

Einige Auszüge werden die Darstellungsweise des Werkes am besten charakterisiren: „Ueber die Person des Columbus geben uns sein Sohn Fernando, Las Casas und einige andere seiner Zeitgenossen sehr genaue Beschreibungen. Diesen zufolge war er groß, schön gewachsen, musculös, und von edler, würdevoller Haltung. Sein Gesicht war lang, weder voll noch mager; etwas blatternarbig, übrigens von gesunder frischer Farbe; eine Adlernase; die Backenknochen stark hervorragend; seine Augen lichtgrau und leicht entzündlich; in seinem ganzen Wesen etwas Hohes, Befehlendes; sein Haar war in seiner Jugend von heller Farbe; Sorgen und Kummer aber färbten es, wie Las Casas berichtet, so frühzeitig grau, daß es schon in seinem dreißigsten Jahre ganz weiß aussah. Er war einfach und mäßig in Kost und Kleidung, beredt im Gespräch, zuvorkommend und gefällig gegen Fremde, und in seinem häuslichen Leben so liebenswürdig und freundlich, daß alles, was ihn umgab, die lebhafteste Anhänglichkeit an ihn hatte. Sein Temperament war von Natur leicht reizbar; er bezwang es aber durch die Großartigkeit seines Geistes, indem er sich stets mit freundlichem, edlem Ernst betrug, und sich in seinen Ausdrücken nie eine Leidenschaftlichkeit erlaubte. Während seines ganzen Lebens bemerkte man an ihm eine große Aufmerksamkeit auf die Gebote der Religion; streng beobachtete er die Fasten und Ceremonien der Kirche. Indessen bestand seine Frömmigkeit nicht blos in Formen, sondern war beseelt von jener hohen, freudigen Begeisterung, von der sein ganzes Wesen durchdrungen war.“

Bekanntlich hatte Columbus (in Genua um das J. 1435 oder 1436 geboren) seine Dienste zuerst dem Könige von Portugal, und dann den Republiken Genua und Venedig

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_273.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)