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Das Ausland. 1,2.1828

Dahin gehören besonders Cesarotti und Beccaria. Obgleich keiner dieser beiden als Muster des Stils gelten kann, so haben doch ihre Schriften über die Philosophie der Sprache und über den Stil einen bedeutenden Einfluß ausgeübt. Indem sie den verlornen Zusammenhang zwischen Stil und Inhalt wiederherstellten, überzeugten sie ihre Zeitgenossen, daß die Schönheit des Stils nicht in der Eleganz zierlicher Worte und Redensarten, sondern in dem würdigen Ausdruck der Gedanken liege.

(Fortsetzung folgt.)


Die Gemäldeausstellung im Louvre zu Paris im Jahre 1827.


(Schluß.)

Sigalon hat dieses Jahr sich sowohl in der Wahl des Gegenstandes, als in der Art, wie er denselben dargestellt hat, vergriffen. Seine Enkel der Athalia bieten nur den allgemeinen Anblick eines Gemetzels dar; weder in Hinsicht der Localität noch der Geschichte ist die geringste Treue bewährt; aber Züge einer bewundernswürdigen Zeichnung und Ausführung, Köpfe von dem schönsten und schrecklichsten Ausdruck befestigen uns in der Ueberzeugung, daß der Maler des schönen Bildes der Locusta auch jetzt seinen Zweck auf das glücklichste erreicht haben würde, wenn er tiefer in seinen Stoff eingedrungen wäre, und die Begebenheit, welche er darstellen wollte, sich nicht nach einigen Versen Racine’s, sondern nach der Geschichte vorgestellt hätte.

Delaroche, der den Auftrag erhalten hatte, die Einnahme des Trocadero zu malen, hat sich mit großer Gewandtheit aus den Schwierigkeiten gezogen, welche dieser Gegenstand der Kunst darbieten mußte. Durch die Mannigfaltigkeit der Stellungen und den natürlichen Ausdruck der Köpfe hat er ein Mittel gefunden, die Wiederholung jener Gruppen des Generalstabs zu vermeiden, die man schon so oft gesehen hat. Doch ist dieß Gemälde in einer zu gleichförmigen Manier gehalten, und der Gegensatz der beiden Beleuchtungseffecte übertrieben.

In seinem heiligen Stephan verfolgte Coignet die schon in seinem Kindermord eingeschlagene Richtung. Wenn auch in den Werken dieses Malers nicht eine einzige besonders hervortretende Eigenschaft sich zeigt, wenn seiner Zeichnung ein bestimmter Character fehlt, und seine Compositionen wenig Originalität verrathen, so kann man doch nicht in Abrede ziehen, daß eine geschickte Verbindung der Linien, eine sorgfältige Ausführung und ein wohlverstandener Effect seinen Bildern einen großen Reiz leihen.

Außer den im Louvre ausgestellten Gemälden wurden in diesem Jahre auch die zur Ausschmückung des Musée Charles X und der Säle des Staatsraths ausgeführten Arbeiten dem Publikum geöffnet. In dieser langen Reihe von Decken- und Seitengemälden ist die bestimmt verschiedene Richtung der beiden Schulen sehr in die Augen fallend. In den Werken Heim’s, Drolling’s und Picot’s zeigt sich noch überall jenes Bestreben, die griechischen Formen und die Anordnung der antiken Basreliefs wiederzugeben; durch correcte Zeichnung, geschmackvolle Anordnung und verständige Ausführung erinnern ihre Plafonds, sehr zu ihrem Vortheil, an die Hauptvorzüge der David’schen Schule. Aber wie viel andere Bilder, ebenfalls in der Absicht ausgeführt, jene Schule gleichmäßig fortzusetzen, beweisen durch ihre traurige Mittelmäßigkeit den gänzlichen Verfall jener Schule!

Unter den Künstlern der neuen Schule, von denen man in den Sälen des Staatsraths Bilder findet, müssen hauptsächlich Delaroche, Schnetz, Delacroix, Scheffer und Gassies genannt werden. Besonders ist das Bild des ersten, sowohl durch die kräftige Ausführung, als durch die Wahrheit und Bewegung der Scene ausgezeichnet. Einige der andern Bilder sind durch Farbe, Effect und eigenthümliche Auffassung bemerkenswerth; überigens findet man auch in ihnen wieder die schon in den früheren Compositionen dieser Künstler bemerkten starken Fehler.

Der zweite Saal des Musée Charles X verdankt dem Pinsel Horace Vernet’s einen schönen Plafond, und der erste Saal des Staatsraths ein ungeheures Bild von blendender Farbenpracht. So sehr dieses Werk mit Lob überhäuft wurde, so hat doch die Kritik sehr bedeutende Fehler daran nachgewiesen, namentlich den Mangel an Charakter in den Köpfen, so wie an Einfachheit und Würde in der Composition; diese Fehler fallen aber vielleicht weniger der Geschicklichkeit des Künstlers, als vielmehr der unglücklichen Wahl des Gegenstandes zur Last. Vernet wollte uns Philipp August darstellen, wie er vor der Schlacht von Bovines seine Krone auf dem Altar niederlegt. Die Thatsache selbst wird gegenwärtig nur noch auf der Leinwand unserer Künstler und in den eleganten Schriften der Salons als historisch wahr angenommen. Der Ausdruck eines solchen Zuges konnte weder natürlich noch lebendig seyn, und die Wahl selbst steht einem Historienmaler schlecht, zu einer Zeit, wo der Wunsch nach historischer Wahrheit immer entschiedener hervortritt und besonders in der Kunst eine unverläßliche Bedingung des Erfolgs wird.

Noch müssen wir einige Worte über Ingres Deckengemälde, Homer’s Apotheose, beifügen. Der erste Blick auf dasselbe erinnert, namentlich in der Anordnung der drei Hauptfiguren, an Raphael’s Parnaß; da aber der Maler in allen seinen Figuren – von den idealen Gestalten des Alterthums bis auf die wirklichen Porträts der großen Männer neuerer Zeit – den bestimmten Charakter sowohl ihrer Persönlichkeit als der Zeit, in der sie lebten, auszudrücken wußte, so ist das Ganze voll Wahrheit und Adel. Diese große und schöne Composition erfuhr viele bittere Kritiken, von Seiten jener hartnäckigen Freunde der Routine, die in Ingres Gestalten jene sclavische und mechanische Wiederholung der griechischen Formen suchten, so wie sie sie ausschließlich zu bewundern und zu kopiren gelernt haben. Desto entschiedener war in den Reihen der Gegner das Lob dieses Bildes. Ungeachtet Ingres im allgemeinen sowohl in Richtung als Ansicht von den Malern der romantischen Schule bedeutend abweicht, ja oft sehr ungerecht gegen sie war, so zollten die letztern doch diesem neuen Erfolge des Künstlers entschiedenen Beifall, in der innigen Ueberzeugung, daß eine so schöne und manchfaltige Zeichnung, so viel Feinheit

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_275.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)