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Das Ausland. 1,2.1828

Nie vergißt ein Maure die Erinnerung einer Beleidigung, die ihm widerfahren ist, und mit unermüdlicher Ausdauer und List sucht er seinem Feinde zu schaden, und seinen Durst nach Rache zu befriedigen. Oft wird er die Verstellung so weit treiben, den Schein der innigsten Freundschaft anzunehmen, um dann seinen Schlag, den er lange vorher bedacht hat, mit desto größerer Sicherheit und um so unerwarteter zu führen. – Der schmutzigste Geiz ist allen Ständen der Barbaresken gemein. Die untersten beobachten allgemein den Gebrauch, wenn sie das Garama (die Kopfsteuer) zahlen sollen, vorzugeben, daß sie außer Stande dazu wären. Der Einnehmer des Fiscus kennt indessen bereits die Bedeutung dieser Entschuldigung, und läßt sich dadurch von der Ausübung seiner Amtspflicht nicht abhalten. Der Widerspenstige erhält eine Anzahl Peitschenhiebe, und darauf versteht er sich zur Zahlung; gewöhnlich zieht er noch auf dem Platze selbst, wo er seine Hiebe empfangen hat, die Börse, und entrichtet die Steuer. Ein Europäer, der Zeuge einer solchen Scene war, fragte den Leidenden, ob es denn nicht besser für ihn gewesen wäre, ohne jene Ceremonie zu zahlen? – Wie, antwortete ihm der Maure, ganz erstaunt: ich sollte meine Steuer bezahlen, ohne die Peitsche erhalten zu haben? – Wie viel auch zu dieser sonderbaren Sitte der blinde Geldgeiz der Mauren beitragen mag, der sie verleitet, bis auf den letzten Moment die Erlassung ihrer Verbindlichkeit zu hoffen, so scheint der Hauptgrund doch in der Nothwendigkeit zu liegen, unter einem so räuberischen Gouvernement jeden Schein des Reichthums zu vermeiden.

Unter den Sitten und Gebräuchen der Mauren sind wenige, die nachgeahmt oder auch nur bemerkt zu werden verdienten. Ihre außerordentliche Unwissenheit macht sie abergläubisch im höchsten Grade; Vorbedeutungen dieser oder jener Art haben fast immer einen Einfluß auf ihre Handlungen. In Religionssachen ist man vielleicht in keinem andern mahomedanischen Lande strenger als in Tunis. Die Moscheen stehen in Constantinopel den Christen mit und ohne Befehl des Großherrn offen; in Tunis werden sie durch die Gegenwart eines Ungläubigen für entweiht betrachtet, und dieser läuft in einem solchen Falle die äußerste Lebensgefahr.

In allen Theilen des Landes sieht man öffentliche Andachtsorte, die fast immer die schönste Lage haben, und meist entweder die Wohnungen lebender, oder die Gräber todter Heiligen sind. Die lebenden Heiligen sind in der Barbarei größtentheils Menschen, die ihrer Sinne nicht mächtig sind, und die deshalb Freiheit haben, ungestraft jede Gattung von Ausschweifungen zu verüben; es wird behauptet, daß sich viele, um desselben Vorzuges zu genießen, verrückt stellten, ohne es zu seyn. Einer von diesen Heiligen, der vor kurzem gestorben ist, hatte die Gabe, daß er in einer halben Stunde das Grab des Propheten zu Mecca besuchen, und nach Tunis zurückkehren konnte. Ein anderer hatte das Privilegium, in einer Nacht ganz Europa zu durchreisen, und von Zeit zu Zeit 300 Ungläubige zu tödten, worauf er bei Anbruch des folgenden Tages nach Hause zurückkehrte. Das Volk glaubt allgemein – nach einer alten Prophezeiung, – daß an einem Freitage während des Mittagsgebetes die Christen kommen, und sich des Landes bemächtigen werden. Deshalb werden zu dieser Stunde in allen Städten die Thore geschlossen und nichts kann sie bewegen, sie zu öffnen, wer auch immer Einlaß begehren mag. Jene Prophezeiung sagt, daß die Nation, welche die Eroberung machen werde, roth gekleidet seyn würde, und deßhalb glaubt man allgemein, daß die Engländer darunter gemeint wären.

Die Mauren von Tunis zeigen sich weniger eifersüchtig in Betreff ihrer Weiber, als die Türken. In der Levante ist das schöne Geschlecht der Obhut von Eunuchen übergeben; in Tunis gibt es die letztern nicht, und die Frauen werden so gut als gar nicht gehütet. Sklaven bedienen sie, und wenn diese Europäer sind, so pflegen die Tunesischen Frauen sich nicht einmal vor ihnen zu verhüllen, wahrscheinlich wegen der Verachtung, in der sie gehalten werden. Einer der sonderbarsten Gebräuche, den die Tunesen haben, ist der, daß sie ihre Töchter, ehe sie dieselben verheirathen – mästen. Kaum sind sie von der Brust entwöhnt, so werden sie in enge Gemächer eingesperrt, und es werden ihnen darauf goldene oder silberne Ringe um die Arme und Beine gelegt. Ist das Mädchen für einen Wittwer oder Geschiedenen bestimmt, so dienen dazu die Ringe seiner ersten Frau. Ist dieß geschehen, so werden ihnen die nahrhaftesten Speisen im Ueberflusse gereicht, und dieß Verfahren so lange fortgesetzt, bis die Ringe fest am Fleische anliegen. Welche Schwierigkeiten dieß hat, wenn vielleicht zufällig ein sehr schlankes Mädchen zur Nachfolgerin einer Frau von dem entgegengesetzten Vorzuge bestimmt ist, läßt sich denken; ob die Barbaren in einem solchen Falle ein Ausnahme von ihrer Regel gestatten, ist uns nicht bekannt geworden. Aber Ausdauer überwindet alles.


Lyon’s Reise in Mexico.


(Schluß.)

„Guadalaxara war zur Zeit meines dortigen Aufenthaltes in einem Zustand fieberhafter Aufregung, was eine gefährliche Veränderung in den öffentlichen Angelegenheiten fürchten ließ. Die Iturbidisten, Centralisten, Föderalisten und andere Factionen überließen sich ihren Empfindungen und Wünschen in einer Anzahl anonymer Broschüren, die unter allen Portalen, in allen Straßen feilgeboten wurden; in Schmähschriften gegen den Gouverneur und seine öffentlichen Beamten; in Vertheidigungsschriften; in Ausstellungen der groben Betrügereien der Mönche, so wie in Apologien ihrer absurden Ansprüche; in Drohungen gegen die wenigen noch zurückgebliebenen Spanier und die Ausländer insgesammt. – Meuchelmorde, Räubereinen waren an der Tagesordnung, ohne daß der Schuldige eine

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_465.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)