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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 114. 23 April 1828.

Italienisches Theater.


Kein Jahr vergeht, wo nicht in Italien aus jeder Gattung der Literatur mehr als ein bemerkenswerthes Werk erschiene; aber selten findet auch nur eine Notiz davon den Weg über die Alpen. Den größten Theil der Schuld glauben wir den italienischen Journalen beimessen zu müssen, die – gleich unsern deutschen – fast nie anders von einer neuen literarischen Erscheinung sprechen, als daß sie bei Gelegenheit derselben die unvorgreiflichen Meinungen des Recensenten über dieß und das, was ihm gerade einfällt, debitiren; ohne dem Leser, der das Buch noch nicht kennt, nur im geringsten einen Begriff davon zu geben. Selten haben wir einen Artikel in der Biblioteca Italiana, dem Giornale di Treviso, der Antologia di Firenze oder irgend einem andern italienischen Blatte gelesen, der uns Lust gemacht hätte, das darin beurtheilte Werk näher kennen zu lernen; und fast immer fanden wir uns, wenn der Zufall uns dieses selbst in die Hände spielte, durch unsere neue Bekanntschaft auf das angenehmste überrascht.

Im allgemeinen läßt sich indessen nicht läugnen, daß der in Italien verbreitete Fond von Bildung und Wissenschaft mit dem literarischen Markte, den man als das Resultat desselben ansieht, in keinem Verhältniß steht. Als die Hauptursache, weshalb so wenige der Männer, die zu Stimmführern ihres Vaterlandes berufen wären, sich vernehmen lassen, sieht man gewöhnlich die Unterdrückung an, die jeden freien Ausdruck des Gedankens zurückdränge, und fast allgemein wird die Schuld davon der Politik des österreichischen Gouvernements beigemessen. Weit entfernt uns zu Lobrednern aller Maßregeln desselben aufzuwerfen, halten wir es doch für unsere Pflicht, das Publikum auf den Ungrund offenbar unbilliger Verunglimpfungen aufmerksam zu machen. Um den Widerstand nicht zu erwähnen, der von dem österreichischen Cabinet beständig den Anmaßungen der Hierarchie in Italien entgegengesetzt worden ist, dürfen wir zur Widerlegung jenes Vorwurfes nur die unzweifelhafte Thatsache anführen, daß in Mailand, der Hauptstadt des lombardisch-venetianischen Königreiches, allein mehr Werke gedruckt werden, als im ganzen übrigen Italien zusammen genommen; und daß namentlich Florenz, wo eine größere Preßfreiheit besteht, als in dem bedeutendsten Theil von Deutschland, und wo seit langer Zeit die liberalsten Gesinnungen herrschend sind, sich in Beziehung auf literarische Thätigkeit und buchhändlerische Betriebsamkeit auf keine Weise mit Mailand, ja kaum mit Venedig vergleichen kann.

Vielleicht würde ein Florentiner uns erwiedern, daß nicht die Masse, sondern der Werth der literarischen Erscheinungen den Maßstab zur Beurtheilung der Literatur eines Ortes geben sollte; und wir können nicht läugnen, daß wir allerdings derselben Meinung sind. Nur sind auch in dieser Rücksicht allein zwei Namen, wie die eines Manzoni und Monti zu gewichtig, als daß wir hoffen dürften, daß die Wagschale sich zu Gunsten Toscana’s neigen würde.

Diesen beiden Heroen der italienischen Literatur – kann Florenz nur seinen Niccolini entgegenstellen, welcher indessen einen bisher nur auf Italien beschränkten Ruhm mehr seinen ästhetischen Abhandlungen, als seinen poetischen Versuchen verdankte. Die Tragödien Polyxena, Oedipus, und Ino und Themisto, vor mehreren Jahren geschrieben – sind regelmäßige und magre Nachahmungen der Alten, in schönen, harmonischen Versen, die aber schwerlich irgend wo, außer bei den blindesten Verehrern der sogenannten classischen Schule, Interesse erregt haben. Vor kurzem hat Niccolini es indessen gewagt, die alte Heerstraße zu verlassen, und, wenn auch nicht geradezu auf die Seite der Romantiker überzugehen, doch einen Mittelweg einzuschlagen, auf dem er zwar die bekannten „Einheiten“ nicht aufgibt, jedoch die Wahl des Stoffes nicht mehr auf das classische Alterthum und die Behandlung desselben nicht mehr auf die steifen Formen des alten conventionellen Theaterceremoniels beschränkt. Wer vorschnellen Hoffnungen Raum geben wollte, würde vielleicht in dem enthusiastischen Beifall, den im v. J. Niccolinis „Foscarini“ in Florenz fand, den Anbruch einer neuen Aera der Literatur, oder wenigstens des Theaters in Toscana voraussehen; uns scheint indeß gerade dieser Versuch, die romantische und die classische Schule zu versöhnen, – oder vielmehr die Nothwendigkeit eines solchen Versuches – einen neuen Beweis dafür zu geben, wieweit Florenz ungeachtet des Schutzes, den es den liberalen Meinungen in der Politik verleiht, von dem Zeitpuncte entfernt ist, wo es die Fesseln pedantischer Vorurtheile im Gebiete der Literatur brechen sollte.

Die Begebenheiten, die Niccolini zum Gegenstande seiner Tragödie gewählt hat, trugen sich in der Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts zu, kurz nach der Entdeckung

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_471.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)