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Das Ausland. 1,2.1828

der Türken erinnert wird. Ein kleinerer diesem ähnlicher Spieß steckt auch an der Gerichtshütte.

Da wir von den Kalmücken vernommen hatten, daß der Tag uns’rer Ankunft in der Horde nach ihrem astrologischen Kalender ein glücklicher sey, so beeilten wir uns, dem Fürsten noch am nehmlichen Tag uns’re Aufwartung zu machen. Bei der Annäherung an dessen Zelt kam uns ein Diener entgegen, der sich nach unserem Begehren erkundigte, worauf wir uns bei dem Fürsten als Reisende anmelden ließen, die ihm einen Brief aus der Hauptstadt abzugeben hätten. Nun wurden wir bald vorgelassen. Nach kalmückischer Sitte näherten wir uns dem Eingange des Zeltes von der rechten Seite, da es für unhöflich gehalten wird, gerade auf die Thüre loszugehen oder von der linken Seite zu kommen. So hüteten wir uns auch beim Eintreten mit den Füßen an die Thürschwelle zu stoßen, eine Regel, die schon Ruisbroek in Mönketümmers Lager zu beobachten hatte. Nach dem gebräuchlichen Gruß: Mende ssün tabä tiniger buista, d. h. Seyd ihr recht gesund und wohl, worauf derselbe mende, d. h. gesund, antwortete, überreichten wir ihm das Schreiben des Grafen Nesselrode und wurden sodann genöthigt, uns auf einen Teppich niederzulassen, welches wir nach asiatischer Sitte mit unterschlagenen Beinen thaten. Der Fürst saß auf gleiche Weise auf seinem Polsterlager im Hintergrunde des Zeltes neben seiner Gemahlin Delek; ihnen zur linken Hand ward der kleine Prinz Raschi Sangdschai Dordsche von seiner Amme gewartet.

Aerdäni war ein Mann von ein und vierzig Jahren, mittlerer untersetzter Statur und von gutem Aussehen. Als wir zu ihm kamen, spielte er die Dumber oder die kalmückische Guitarre. Seine Gemahling Delek war ungefähr sechs und zwanzig Jahre alt, von starkem Körperbau und echt kalmückischer Gesichtsbildung mit hervorstehenden Backenknochen. Die Kleidung des Fürsten bestand in einem kurzen kalmückischen Rocke von blauem Tuche, in sehr weiten Beinkleidern von demselben Stoff, einer buntseidenen Weste und einer spitzen tscherkeßischen Mütze von schwarzem Sammet mit Zobel verbrämt und mit einer großen rothen Quaste und goldenen Tressenschnüren geziert. Die Fürstin trug eine blaubuntes weites Gewand über einem rothseidenen mit großen goldenen Blumen gezierten Unterkleide und als Kopfputz eine hohe viereckige gleichfalls mit Zobel verbrämte und mit einer großen seidenen Quaste behängte kalmückische Mütze von persischem Goldstoffe. Das Zelt hatte ungefähr zwanzig Schuh im Durchmesser und eben so viel in der Höhe und war rings am Boden mit Filzen und Teppichen belegt. Der Thür gegenüber war das etwa eine Elle vom Fußboden erhöhte fürstliche Polsterlager mit grünen baumwollenen Ueberzügen und über demselben eine Art Baldachin von demselben Zeuge. Zu beiden Seiten hingen große aufgerollte Bilder von der Decke herab: das zur linken stellte den schrecklichen Geisterfürsten Bansarakza vor, das zur rechten enthielt eine Menge astrologischer Kreise mit vielen bunten Figuren. Beide sollten zum Wohl des kleinen Prinzen dienen und ihn gegen alle Unfälle beschirmen. Links an das fürstliche Lager stieß das Opfertischchen mit seinem Bänkchen. Auf dem Opfertischchen standen sieben mit Reis und andern Opfergaben gefüllte Schalen; hinter demselben lagen eine Menge Kasten auf einander, mit einem persischen Teppich bedeckt.

(F. f.)

Napoleons Aufenthalt in Moskau.


Raybor triokh stateï etc. Prüfung dreier Stellen in Napoleons Memoiren, von Dionys Davuidof. Moskau 1826. 8. (in russischer und französischer Sprache).

Der Verfasser dieser Schrift, der zu Anfang des russischen Feldzugs eine Escadron Husaren befehligte, war der erste, der in Rußland die Idee zu jenem Parteigängerkriege gab, welche auf dem Rückzuge von Moskau soviel dazu beitrug, den Schrecken dieses Zuges zu vermehren. Im Jahr 1815 wurde Davuidof zum General-Major ernannt. Unter den Stellen, die er bestreitet, ist diejenige die bemerkenswertheste, welche den Aufenthalt Napoleons in Moskau betrifft.

Davuidof sagt: „Der Aufenthalt der französischen Armee in Moskau dauerte 34 Tage, und nicht, wie es in Napolens Memoiren heißt, blos 20. Napoleon zog am 2 September daselbst ein, und verließ die Stadt erst am 7 October. Dieser Umstand ist sehr wichtig, denn in jene 14 Tage fällt der Waffenstillstand von Taroutino, der einen so unmittelbaren Einfluß auf das Schicksal der französischen Armee hatte. Hätten die Franzosen Moskau 14 Tage früher verlassen, so hätte keiner der Entwürfe des russischen Marschalls zur Reife kommen können. Die russische Armee hätte keine Zeit gehabt, sich mit den von Fürst Labanof zusammengezogenen Truppen zu verstärken; die Rekruten und die jungen in die Linienregimenter eingetheilten Soldaten wären noch nicht gehörig exercirt gewesen; man hätte die Verstärkung der 24 donischen Kosakenregimenter noch nicht erhalten gehabt, die, vereinigt mit denen, welche das russische Heer bereits besaß, mehr als 20,000 Mann leichter Cavallerie bildeten, die den Franzosen auf dem Rückzuge soviel Schaden zufügten; die Begeisterung der Russen wäre noch nicht durch den Sieg vom 6 October aufgeregt gewesen; endlich wäre für das französische Heer nicht nur keine Hungersnoth eingetreten, sondern es hätte auch den Weg von Moskau nach Smolensk auf guten Straßen und zu guter Jahreszeit zurückgelegt, da der Herbst außergewöhnlich warm war, die eigentliche Kälte hingegen erst mit dem 22 October begann, und die Franzosen unter den Mauern von Viazma überraschte.“

Diese Verlängerung des Aufenthals in Moskau, nebst den verderblichen Folgen, die sich daran knüpften, kann wohl, selbst nach dem Zeugniß der französischen Schriftsteller, nicht mehr bestritten werden. Davuidof zeigt bei dieser Schrift alle jene Würde, und jenen Anstand, den man von seinem militärischen Verdienst sowohl, als von seinem Geist und seinem Talent erwarten durfte [1]Selbst Soldat, achtet er (dieß sind seine Worte) den Ruhm des ersten Kriegers aller Jahrhunderte, und das Andenken dessen, den nur Undank und Feigheit verläumden und verlästern konnten.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_474.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)
  1. Davuidof ist zugleich einer der geschäztesten Dichter Rußlands.