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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 119. 28 April 1828.

General Pelets Urtheil über die Angelegenheiten des Orients.


(Fortsetzung.)

Das politische System Oesterreichs ist das der Stabilität. Die geringste Erschütterung kann seine neueren Eroberungen, selbst Ungarn, in Gefahr bringen. Die nöthige Ergänzung für Oesterreich wäre der Besitz der Donaumündungen, welcher Strom drei Viertheile seiner Gewässer aus dem Kaiserstaate empfängt. Die Donau ist durch die Fürstenthümer und durch türkische Provinzen geschlossen; sie würde es noch mehr durch Rußlands Eingriffe werden. Beiden großen Reichen sollte das schwarze Meer gemeinschaftlich angehören. – Haben die Czare den Thron und die Religion der Griechen in Constantinopel wieder hergestellt, so werden sie Gallizien, die Bukowina, Siebenbürgen, das Banat, Slavonien, Dalmatien, und selbst einen Theil Ungarns als alte Dependenzen der alsdann von ihnen in Besitz genommenen Länder zurückfordern; und bald werden diese Länder sich ihnen in die Arme werfen. Dann gibt es kein Oesterreich mehr. Das unmittelbare Interesse dieser Macht fordert also, sich dem Einfalle in die Türkei, so wie jeder Gebiets-Erweiterung Rußlands zu widersetzen. –

Erlaubt aber die innere Politik dem Wiener Hofe, einen Krieg in Ungarn und Gallizien zu beginnen? Könnten Armeen, die nur aus Slaven gebildet sind, nicht leicht einen unabhängigen slavischen Staat schaffen, hinter welchem Rußland alle seine Pläne[WS 1] ausführen würde? Wenn Kaiser Franz, seiner erhabenen Großmutter nachahmend, bei den Ungarn Hülfe forderte, und wenn er zugleich ihre gesetzmäßigen Rechte anerkennen wollte, so würden sie auch jetzt noch rufen: Moriamur pro rege nostro! Auch die andern Völker würden in diesen Ruf einstimmen, wenn der Kaiser, um die Unabhängigkeit seiner Krone zu sichern, ihre politische Freiheit verbürgen wollte. Der Krieg mit Rußland wird künftig eine Nothwendigkeit für Oesterreich seyn. Warum also warten, bis jene Macht ihre Kräfte vermehrt hat?

Nahe an dem westlichen Vorsprunge des russischen Reichs liegt Schlesien, eine Barriere von Festungen, die gegen die Einfälle des Orients erbaut wurden (?). Von der Oder aus bis zum Rhein ist ein langer Strich des Festlandes von den Völkern des deutschen Bundes, von den Staaten der Häuser Sachsen und Hessen, von mehreren kleinen Fürsten, von Hannover und den Hansestädten besetzt. Man findet hier ferner die constitutionellen Monarchien von Bayern, Würtemberg und den Niederlanden, die keinen andern Wunsch haben können, als sich zu erhalten, und deren größte Macht in der Anhänglichkeit ihrer Völker besteht.

Im Norden dieses Bundes dehnt sich vom Niemen bis zur Saar der dünne Streif der preussischen Provinzen aus, die von einigen fürstlichen Gebieten und von Hannover in ihrem Zusammenhange unterbrochen sind. Preussen reicht bis an beide Endpunkte der Civilisation Europas; seine Grenze, die 50 Lieus von Wien entfernt war, liegt gegenwärtig 70 Lieus von Paris. Bis jetzt war dieses Königreich das Medium, welches den Continent der russisschen Oberherrschaft unterwarf. Durchaus künstlich und ein Werk der Geschicklichkeit seiner Könige und der Hingebung des Volks i. J. 1813 ist Preussen wesentlich ein militärischer Staat, aber gemäßigt von dem liberalen und philosophischen Geist der Regierung.

Schwach durch die Lage seiner Länder, aber stark durch seinen kriegerischen Geist, durch seine Institutionen, besonders durch seine treffliche Armee, bedroht Preussen alle seine Nachbarn. Es bildet gegenwärtig ein bedeutendes Gewicht in der Wagschale Europas; es hängt von Preussen ab, auf welche Seite diese sich neigen soll. Morgen aber vielleicht wird es zu spät seyn, und dieses Königreich wird die Beute derjenigen werden, deren Usurpation es bisher begünstigte. Es zählt unter seinen Einwohnern 2,500,000 Polen; Danzig ist Polens Ausmündung. Noch mehr als Oesterreich dem russischen Angriff ausgesetzt, bedarf es vor allem einer Arrondirung seiner Provinzen. Es hat weder von dem Czar, der es erst unlängst verkürzte, und aus freiem Antriebe nie eine Handvoll Land abtreten wird, etwas zu erwarten, noch von Frankreich, das nichts verlieren kann, ohne seine Existenz gefährdet zu sehen. Es bleibt daher zu untersuchen, wo das Berliner Cabinet Entschädigung erhalten soll. Ganz Preussen begreift, daß sein Interesse dem russischen entgegengesetzt ist; vorzüglich fühlt dieß die Armee, denn sie hat besondere Zwiste mit der russischen auszugleichen, welche mit ihrer Hülfe die Herrin Europas wurde. Ohne die preussische Erklärung im Januar 1813 hätten die Russen das linke Weichselufer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Plane
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_491.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)