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Das Ausland. 1,2.1828

Fragen wir nun: welche militärischen Operationen die ersten seyn dürften?

In einem Feldzuge gegen die Türkei muß die Basis der russischen Armeen der Dnieper seyn, von Khotin, unfern der österreichischen Bukowina, bis nach Bender und Ovidiopol. Es ist wahrscheinlich, daß die zweite Armee den Pruth überschreiten und in der Gegend von Silistria über die Donau setzen wird, um die Mündungen dieses Stroms und die nördliche Spitze der Bulgarey zu umgehen. Die Ufer des Pruth werden vielleicht nicht vertheidigt, denn die Türken sind noch in der Wallachey eingerückt. Da dies Land aber Sumpfboden hat und wegen Mangel an Heerstraßen schwer in demselben fortzukommen ist, so wird der russische General wohl den Frühling erwarten müssen.

Die große Armee, staffelförmig bei Kaminiez und Jassi aufgestellt, wird den General Wittgenstein unterstützen, während sie die österreichischen Provinzen beobachtet. Je nach den Nachrichten, welche das russische Cabinet von den Absichten Preussens und Oesterreichs erhält, werden das lithauische Corps und die polnische Armee sich bei Wilna, Warschau oder Zamoisk vereinen. – In den Irrgarten aller möglichen Voraussetzungen, die bei der Einmischung dieser Mächte denkbar sind, wollen wir uns nicht einlassen.

Die angreifende Armee wird sodann auf den Straßen von Tirnowa, Dschumla und Bazardschik vorrücken; eine Colonne wird über Mangalia den steilen Küsten des Meeres folgen. Die Flotte und die Transportschiffe werden sich der Armee stets nahe halten, um die Lebensmittel zu sichern. Eine der ersten Operationen muß die Belagerung von Rustschuk und Silistria seyn. Die russischen Truppen werden bald am Fuße des Balkans stehen, wo dann die eigentlichen Kriegsoperationen beginnen müssen. Hier hatten bisher alle ihre Siege ein Ende. Doch sind diese Berge kein unübersteigliches Hinderniß; denn man findet mehrere einander ziemlich nahe liegende Pässe. Ist die Armee durch dieselben gedrungen, so muß sie sich der befestigten Stadt Warna bemächtigen, deren Hafen ihr eine vortheilhafte Verbindung mit Odessa geben und ihr Hauptdepot werden wird. Es ist wahrscheinlich, daß die Armee von Georgien ihre Operationen gegen die Perser an den Küsten des caspischen Meeres fortsetzt.[1].

(Fortsetzung folgt.)


Briefe aus Persien.


(Schluß.)

Sonntag den 4ten Nov. Die erwartete Truppenabtheilung, bestehend aus dem Regiment der in Ungnade gefallenen Moscower Garden, einem Bataillon von den neuen Garden, dem Scheriwaner Grenadier-Regiment, dem Regiment von Tiflis, zehn Stücken Geschütz und einigen Schwadronen Kosacken ist diesen Morgen angekommen. Die Arrieregarde der Armee bleibt zu Merad stehen; auch der Artilleriepark ist beordert worden, dort zurück zu bleiben. Gestern Abend ging der russische Bevollmächtigte, General Obriscaff, nach Kallamellug, um daselbst mit dem Cayim Mukum eine Zusammenkunft zu halten; diese endigte damit, daß der General dem persischen Minister einen Entwurf der Bedingungen übergab, auf denen der Frieden geschlossen werden könnte. Der Kayim Mukum kehrte mit demselben in das Lager des Prinzen zu Salmaß zurück, um die Genehmigung desselben einzuholen, die innerhalb sechs Tagen bei dem Oberbefehlshaber eingegangen seyn muß.

Mondtag den 5ten. Oberst Macdonald wurde von General Paskewitsch eingeladen, einer Revue der russischen Armee beizuwohnen. Es war befohlen worden, ein Te Deum zu singen; der Gesandte lehnte daher ab, an dieser Ceremonie Theil zu nehmen, doch machte er Gebrauch von dem Anerbieten, die russischen Truppen nach Beendigung derselben zu sehen. Um Mittag erschien ein Uhlanen-Rittmeister mit einer Abtheilung seines Regiments, um den Gesandten abzuholen. Die Armee war auf der Fläche hinter dem Garten des Prinzen in einem großen Viereck aufgestellt, von welchem die Infanterie zwei Seiten bildete; die beiden andern die regelmäßige Cavallerie, die Cosacken und die Artillerie. Als wir ankamen, war der Gottesdienst eben beendigt; die Offiziere, die während desselben in der Mitte des Vierecks versammelt gewesen waren, gingen auf ihre Posten ab und es wurde eine Salve von fünfzig Kanonen abgefeuert. Wir schlossen uns an das Gefolg des Obergenerals an; die Truppen brachen in Colonnen ab, um bei demselben vorüber zu marschiren: es war ein imposanter Anblick: alle Bewegungen mit bewunderungswürdiger Präcision ausgeführt, die Befehle ohne unnöthiges Geschrei ertheilt und mit der größten Schnelligkeit vollzogen. Nachdem die Truppen vorüberdefilirt waren, bildeten sie sich in eine Masse mit einer Fronte von vier Bataillons. General Paskewitsch gallopirte die Linie vorüber, ging durch die Zwischenräume der Colonnen und wurde von jedem Corps mit lautem Zuruf empfangen. Ich schätzte die Stärke der Armee auf:

12 Bataillons Infant. zu 550 Mann .. 06600 M.
02 Bataillons auf Posten ... 01100 "
01 Regiment Dragoner ... 00600 "
03 Regiment Uhlanen zu 400 M. .. ... 01200 "
000Cosacken ... 02000 "
52 Stücke Geschütz, jedes mit 20 M.  01040 "
12,540 M.

Im Ganzen, wenn wir die im Dienst oder Krankheits halber Abwesenden dazu rechnen, mag die russische Macht zu Tauris sich auf 14,000 Mann belaufen. [2]

  1. Es muß hiebei bemerkt werden, daß zur Zeit, als Gneral Pelet diesen Aufsatz schrieb, der zwischen Rußland und Persien geschlossene Friede noch nicht in Paris bekannt seyn konnte.
    Der Uebersetzer.
  2. Wir haben absichtlich bei diesen militärischen Details länger verweilt, weil nach den neuesten Berichten diese Armee zu einem Einfall in die asiatische Türkei bestimmt ist und sogar bereits den Befehl zum Marsch erhalten haben soll.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_502.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)