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Das Ausland. 1,2.1828

von Cardonne, hatte sich auf besondere Bewegung des heiligen Geistes in Mannstracht verkleidet (déguisée par un mouvement particulier du Saint-Esprit, – en habit d’homme) und entfloh von dem spanischen Hofe. Sie zog sich in eine Einöde zurück, wo sie von Nichts als Kräutern und Wurzeln lebte, mit solcher Strenge, daß sie Pönitenz that, als sie einmal ein paar wilde Spargeln genossen hatte. In dieser Einsamkeit war es, wo der große Patriarch Elias dieser erwählten Seele erschien und ihr selbst die Form der Kleidung zeigte, die sie in Zukunft tragen sollte und die sie den Rest ihres Lebens trug.“ Es ist klar, daß diese Erscheinung eine unzweifelhafte Bürgschaft für diejenige ist, deren die Schwester Marie Angelika gewürdigt wurde.

„Auch die heilige Theresia,“ fuhr Boudon fort, „hat sich mehrere Male dieser guten Schwester gezeigt und es dauerte länger als ein Jahr, daß sie fast täglich den seligen Vater Jean de la Croix sah, entweder durch eine imaginäre oder eine rein geistige Vision. Man nennt eine übernatürliche, aber imaginäre Vision eine solche, die sich dem inneren Sinn in Formen oder Bildern zeigt, die denselben auf übernatürliche Weise zur Belohnung außerordentlicher Frömmigkeit von Gott eingegeben werden. Eine geistige Vision dagegen nennt man diejenige, die dem Geiste unmittelbar ohne Mitwirkung des äußeren oder inneren Sinns verliehen wird, und dieß geschieht durch eine große und ganz besondere göttliche Erleuchtung. Nur Gott kann rein geistige Visionen verleihen; aber die großen natürlichen Erleuchtungen kann der Teufel nachäffen, indem er sich der Einbildungskraft auf so geschickte Weise bedient, daß dieselbe zuweilen nicht den geringsten Theil daran zu haben scheint.“

Man sieht, daß die neuen Apostel Loyolas den Teufel für sehr bewandert in der Kenntniß der Natur und für eingeweiht in alle Geheimnisse derselben halten; sollte er es nicht seyn, dem wir die Entdeckung des Magnetismus und überhaupt unsere Fortschritte in den Naturwissenschaften verdanken? Der gute Boudon, der eben kein besonderer Naturforscher ist, führt uns bald wieder zu unserer Schwester Marie Angelika zurück und läßt sie uns Schritt für Schritt auf ihrem Wege der Vervollkommnung begleiten. „Die göttliche Gnade,“ sagt er, „trieb sie zu allem, was man sich als das härteste und schwerste für die Natur denken kann.“ Wir werden die Wirkungen dieser übernatürlichen Gnade sehen; aber ich fühle, daß ich der Nachsicht meiner Leser im vollsten Maße bedürfen werde. Was ich noch anzuführen habe, wird so ekelhaft, die Details erregen einen solchen Widerwillen, daß, während ich im Begriff bin, diese Stelle abzuschreiben, die Feder meiner Hand entfällt. Ich weiß in der That nicht, ob die dringende Nothwendigkeit, die Infamien einer heuchlerischen Sekte und das System des Dummmachens, welches sie verfolgt, mir zur Entschuldigung dienen; aber es ist eine Pflicht, und sie muß erfüllt werden.

„Maria Angelika,“ sagt der Priester Boudon, „faßte den Entschluß, um dem Rufe der göttlichen Gnade zu folgen, den Kopf eines jungen Mädchens zu verbinden, die einen abscheulichen Ausschlag hatte. Sie steckte sich von demselben ein Stück in den Mund und aß es! Aber wie gütig ist Gott, wie freundlich ist er gegen die, welche ihn lieben! Sie hat versichert, daß, indem sie sich auf diese Weise kasteite, sich so viel Süßigkeit über eine Sache verbreitete, die ihr natürlich die unangenehmste Empfindung hätte erregen sollen, daß sie sich nie erinnerte, etwas Wohlschmeckenderes gegessen zu haben: ja sie konnte sich keine Speise denken, so delicat sie auch seyn mochte, die dieser nur entfernt sich näherte. Sie unterwarf sich auch der Prüfung, die Linnen auszusaugen, die zum Verbande von Geschwüren gedient hatten und voll waren von Eiter; und indem sie auf diese Art fortfuhr, mit so vieler Großmuth sich zu überwinden, so fuhr der gute Gott seinerseits fort, sie zu begünstigen und sie Wollust finden zu lassen in Dingen, die auf natürlichem Wege nur den größten Abscheu hätten erregen müssen. Häufig hat sie den Auswurf (des crachats) verzehrt, der sich in der Kirche oder anderwärts fand. Kurz sie that alles Gute, was sich ihr darbot und was in der Ordnung Gottes war.“

Und es gibt Menschen, die jedes sittlichen Gefühls, jedes Gefühls für Scham oder Anstand so völlig unfähig sind, daß sie nicht erröthen, diese Bücher öffentlich bekannt zu machen und Kindern, die ihrer Leitung anvertraut sind, in die Hände zu geben! So erfüllt ihr eure Sendung, so geht ihr in den Geist der Religion ein, deren Diener ihr euch nennt, der Schriften, in denen die sanfteste Duldung und die reinste Moral athmet! Sind dieß die Mittel, um der katholischen Kirche Menschen zurück zu bringen, welche die Charlatanerie und die Heuchelei eines Theils ihrer Diener veranlaßt hat, sich von ihr zu trennen? Ist es möglich zu begreifen, wie zu einer Zeit, wie die unsrige, wo die Civilisation zu immer höheren Stufen sich entwickelt, wo man von allen Seiten zu gesunden Ideen und großmüthigen Gesinnungen kommt, wie in dieser Zeit noch von so ehrlosen und erbärmlichen Speculationen auf die Einfalt, die Leichtgläubigkeit und fanatische Unwissenheit die Rede seyn kann?

Werfen wir einen Blick auf ein zweites Werk: La Vie et les Révelations de la soeur de la Nativité, das aus derselben Fabrik kommt und gleichfalls dazu bestimmt ist, die Jugend zu verderben. Diese Schwester der Nativität nannte sich in der gewöhnlichen Welt Jeanne le Royer und war von dem Dorfe Beaulot, zwei Stunden von der kleinen Stadt Fouguères in der Bretagne. Wir verweilen nicht bei den Begebenheiten ihres Lebens; sie gleichen in vieler Hinsicht denen, die sich in dem Leben der Schwester Marie Angelika finden. Auch hier sind es Gebete, Selbstpeinigungen, Losreissungen von allen natürlichen Gefühlen und Vergessen alles äußeren Anstandes, nebst blinder Unterwerfung unter den Willen und die Befehle des Beichtvaters, was die christliche Vollkommenheit ausmacht.

Jeanne le Royer hatte allerlei Träume; sie sprach davon mit ihrem Beichtvater Genet, einem emigrirten Priester,

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_519.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)