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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 134. 13 May 1828.

Briefe eines Engländers aus Constantinopel.


(Le Globe.)

Eine merkwürdige Erscheinung in der muselmännischen Hierarchie bilden die beiden Klassen der Derwische, die tanzenden und die heulenden, jene, vorzüglich bei den Vornehmen und Aufgeklärten, die letztern hingegen mehr bei dem Volke beliebt, jene die Aristokraten, diese die Demokraten des Glauben, in gegenseitigem Haß verkündend, daß die Welt nur durch Tanzen oder durch Heulen gerettet werden könne, und daß der Tag nahe sey, wo es auf der Erde nur noch Tanzende oder Heulende geben werde. Freilich ist die Zeit dieser Regeneration nicht genau bestimmt; vorerst genügt es, daß das Volk es glaubt, und daß die Derwische von den Früchten dieses Glaubens in Ruhe und Behaglichkeit leben.

Ich wohnte schon einige Wochen in Terapia, als ich erfuhr, daß in beiden Klöstern der rivalisirenden Derwische an demselben Tage ein großes Fest werde gefeiert werden. Nichts konnte mir erwünschter kommen. Ich machte die nöthigen Vorbereitungen, und erhob mich an dem bestimmten Tage sehr früh vom Lager. Noch war die Sonne hinter den Bergen verborgen, als ich mit meinem Freunde meinen hölzernen Palast in Terapia verließ. Das Fahrzeug erwartete uns schon lange, und unsere Bostandschis rauchten auf ihren Bänken stillschweigend ihre Pfeifen. Ohne zu grüßen oder gegrüßt zu werden, schifften wir uns ein, und stießen nach einigen Minuten unter dem lauten Zurufe der Matrosen vom Ufer.

Von allen Dörfern an den Ufern des Bosporos ist keines diesem Rückzugs- und Erholungsorte der griechischen Notablen zu vergleichen. Kourn Kali und Fondukli sind mehr in türkischem Geschmack; die Scala des Sultans athmet mehr orientalische Wollust; aber die Gehölze, die Thäler, ja sogar die Bewohner dieses freundlichen Dorfes haben einen zarten und zugleich so reinen Ausdruck der Vergangenheit, daß man darüber beinahe die Gegenwart der asiatischen Eroberer vergißt. So wie der Winter und der Ostwind aufhört, sucht hier der ganze Phanar eine Zufluchtsstätte vor den Verfolgungen der Herren von Stambul. Die Boyaren, sowohl die, welche es waren, als die, welche es zu werden hoffen; die Fürsten, Verwandte der alten oder der regierenden Hospodare; die Pforte-Dolmetscher; die großen und kleinen Würdeträger der Kirche, vom Patriarchen bis zu den Papas und Kaloyers, bilden einige Monate lang eine Vereinigung alles dessen, was noch übrig ist von Ansprüchen auf das Reich der Komnenen und Paläologen. In Terapia schütteln sie den Druck der Hauptstadt ab, jenes moralische Miasma, welches in der Nähe des Serails Körper und Seele erschlafft; hier ist es, wo sie bald die natürliche Elasticität und die Lebendigkeit des griechischen Charakters wieder erlangen. Noch war die Revolution nicht zum Ausbruch gekommen, aber schon „schwebte der Geist auf den Wassern;“ still und geheim bewegte sich die Seele der Nation. Die Wiedergeburt des Landes leuchtete in den Augen, lange ehe sie in Worte überging, und verkündigte sich in Worten, lange ehe das Wort zur That wurde. Die dunkelrothen Häuser, die diese Ufer bekränzen, mit Bäumen und freundlichen Gebüschen geschmückt, waren, gleich den Gärten der Ruscellai in Florenz, der Schauplatz mehr als einer stolzen Verschwörung für das Heil und den Ruhm des dahin gesunkenen Vaterlandes. Jakovaki Rizos hielt sich gerade, als ich dort war, in Terapia auf, mit der Sammlung und dem Studium der Alterthümer beschäftigt, die er, der erste unter seinen gelehrten Landsleuten, vor der Zerstörung der Zeit und der Barbaren zu retten begann. In demselben Quartier des Dorfes stand die bescheidene Wohnung des Fürsten Morusi und seiner lieblichen Töchter, blühend in allem Glanze der Jugend und Schönheit. Kaum war ich nach Europa zurückgekehrt, so las ich in einem der ersten Journale, das mir in die Hände fiel, daß der Vater auf dem Schaffot sein Leben geendigt hatte, die Töchter aber auf dem Sclavenmarkte von Constantinopel ausgestellt worden waren.

Man hat die Phanarioten lange Zeit als Erben der Laster ihrer byzantinischen Vorfahren bezeichnet, und diese Anklage stets mit eben so großer Affectation als Uebertreibung wiederholt. Wahr ist es, die Zeit und die Sclaverei haben die edlen Eigenschaften getrübt, die einst das Erbtheil ihrer freien Väter waren: die Verdorbenheit des Hofes, die theologischen Intriguen, die willkürliche Gesetzgebung des in sich selbst zerfallenen oströmischen Reichs, finden sich auch bei denen, die später Sclaven der Türken wurden. Jener Reichthum an Ausflüchten, eine Art moralischen Leitsinns, liegt, wenn ich so sagen darf, im Instinct des griechischen Charakters. Da die Sclaverei nicht geeignet war, diesen Fehler zu verbessern, so entsprang daraus jene beständige, complicirte Zweideutigkeit, welche dem Fremden gleich auf den ersten Anblick widerlich auffällt. Fehler dieser Art können nicht an Einem Tage verschwinden. Eine so edle Sache, der blutige Kampf um

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_557.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)