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Das Ausland. 1,2.1828

Briefe eines Engländers aus Constantinopel.


(Schluß.)

Wir näherten uns der Kaiserstadt, und schifften uns bald in Tophana aus, trotz der Pest, die sich anzukündigen begann. Jeden Tag schaffte man sechs Leichname durch die Pforte von Adrianopel; aber dieß war nur ein Anfang, ein kleiner Versuch der Sense, ein Vorspiel für die Tage der Ernte. „Ehe man nicht jede Nacht tausend Leichname durch die Pforte von Adrianopel kommen sieht, herrscht die Pest nicht in Stambul,“ sagen die Türken. Wir nahmen mehr als einmal unsere Stöcke zu Hülfe, um die Volksmenge und die Ansteckung ferne von uns zu halten. Nachdem wir auf diese Art die Berührung mit einer Menge verdächtiger Gesichter vermieden hatten – in den engen Straßen von Galata und Pera, die so schmutzig sind, als ob alle Kärrner von der Pest weggerafft wären, gelangten wir endlich zur Moschee der tanzenden Derwische, welche diesen Tag feiern, d. h. im Dienste Gottes zur Erbauung des Publikums tanzen sollten. Der aufgeklärte Selim, der die Buchdruckerei erneuerte, und als ein Opfer der Intrigen der Abschreiber fiel, [1]hatte eine ganz besondere Vorliebe für diese Gott wohlgefällige Anstalt, und hielt sie für höchst nothwendig zur orthodoxen Erziehung und Humanisirung seines Volkes.

Die Moschee war so geschmückt, wie es ihre getreuesten Anhänger immer wünschen konnten. Roth und blau, grün und Gold, alle Farben des Kamäleons, die ein Günstling der Ulemas nur verlangen kann, waren über die Façade verschwenderisch ausgebreitet, und das Dach war so überladen mit Minarets, Unterminarets, Halbminarets, daß selbst die Pagode des königlichen Palastes von Brighton neidisch darüber werden könnte. Dieser Luxus scheint anzudeuten, daß dieses Kloster, gleich andern, seinen artigen Theil an den Gütern dieser Welt bekommt. Von Zeit zu Zeit wird irgend ein reicher Grieche eingezogen, oder ein fetter Armenier seines Kopfes enthoben, durch deren Vermögen die weltlichen Angelegenheiten der Derwische immer so ziemlich auf dem Laufenden erhalten werden.

Wir traten in den Hofraum, und von da in die Moschee, nachdem wir einige Betrachtungen über das Grab des Paschas Graf Boneval angestellt hatten, das wir im Vorübergehen besuchten. Dieser – nach den Türken Bekehrte, nach den Christen Verkehrte ist in jedem Falle eine Person, die ich einem Fabrikanten orientalischer Romane sehr empfehlen möchte, als eine Gattung von Heiligen, die in unsern Tagen nothwendig Glück machen muß. Wir hatten einige Mühe, durchzukommen, und nahmen an der Pforte so still als möglich Platz, indem wir uns erinnerten, daß wir ungläubige Hunde wären, auch der unangenehmen Pflicht entgehen wollten, unsere Schuhe auszuziehen, sie vielleicht zu verlieren, endlich uns auch nicht den Vorwürfen der Gläubigen aussetzen mochten, wenn wir auf ihren Aufruf taub blieben. Die Zuschauer waren zahlreich, aber gewählt; die Moschee groß und bewundernswerth passend für Tanz und Gebet. Eine doppelte Gallerie, geschmückt mit den reichsten orientalischen Ciselirarbeiten, und angefüllt mit allen Frommen aus dem reicheren Theile der Stadt, lief rings um die Mauern, nur von einer, den Flötenspielern vorbehaltenen Tribüne unterbrochen. Diese letzteren hatten bereits ihr Concert begonnen, und präludirten zu dem nahen Feste. Der mittlere Raum der Moschee selbst war so schön und glänzend gedielt, wie es wohl bei der häufigen Wiederholung jener erbaulichen Uebungen nothwendig seyn mußte. Noch war Niemand an dieser Stelle zu sehen; nur eine Art Huissier durchmaß von Zeit zu Zeit den Raum der Länge und der Breite nach, ob nicht ein Nagel oder sonst ein Stein des Anstoßes für die heiligen Tänzer aus dem Wege zu räumen seyn möchte. Endlich erschienen die letztern selbst. Sie rückten auf der Spitze der Zehen, mit kleinen, abgemessenen Pas vor, zogen sich dann wieder etwas zurück, und schienen so das Steigen und Fallen des Geistes, die innern Schwingungen des Gemüths andeuten zu wollen. Ihre Arme waren demüthig gekreuzt, so daß beide Hände auf den Schultern lagen; ihre Augen waren geschlossen, und ihre weißen Füße erschienen und verschwanden bescheiden unter der langen, schweren Draperie. Die Kleidung war die eines Asceten: eine sehr weite, braungelbe, wollene Tunica, um die Lenden nach Art der Propheten mit einem ledernen Gürtel gebunden, hing bis auf die Knöchel; den Kopf bedeckte eine lange, kegelförmige Filzmütze von gleicher Farbe wie die Tunica. Die Gesichter waren bleich, fast eben so gelb wie ihr ganzes Costüm, und schienen sehr mitgenommen vom Beten, Spielen und Tanzen. Die Flöten begleiteten jede ihrer Bewegungen, aber auch mit dem besten Willen konnte ich mich nicht bis zu der mystischen Höhe dieser Musik erheben, die mir stets blos den ersten verstimmten Tönen unsrer Orchester zu gleichen schien. Nach zwei oder drei ruhig ausgeführten Touren, und nachdem der Eifer der Frommen gehörig warm geworden war, trennten sich die beiden Führer von dem Zuge, um, nach menschlicher Weise zu reden, eine Art von pas de deux zu tanzen, welchem sogleich auf der entgegengesetzten Seite zwei andere Führer folgten, so daß neben mir zwei oder drei alte Türken vor Erbauung tief aufseufzten. Nun folgte eine noch lebendigere Bewegung: die Pas de Deux-Tänzer drehten sich zu einer Art Walzer; dann kam ein dritter, ein vierter, ein fünfter Derwisch, bis endlich das ganze Kloster sich in Bewegung setzte und zu walzen begann. Die Derwische drehten sich hintereinander herum, gleich den Descartschen Wirbeln, nach dem Gesetze einer welchselseitigen Adhäsion, und durchmaßen so den ganzen Umkreis des Tempels. Wer übrigens dieses geistige Walzen mit unserem weltlichen Tanzen vergleichen wollte, würde dem Ernst und der Würde des Mahommetanismus sehr Unrecht thun. Fürs Erste tanzt der walzende Derwisch allein; fürs Zweite führt er alles in

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_571.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)
  1. Die Abschreiber, die einen großen Bazar in Constantinopel bilden, wüthend über die Einführung einer Presse in Constantinopel, waren die ersten, die revoltirten.