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Das Ausland. 1,2.1828

Herabgestiegen in das schöne Land, das der Hebros bewässert, brauchen die Russen nur eine große Schlacht zu liefern, deren Erfolg nicht zweifelhaft seyn kann, so stehen sie vor Constantinopel, während zu gleicher Zeit ihre Flotte den Eingang in den Bosporos erzwungen haben, und unter den Mauern der Kaiserstadt ihre Flaggen entfalten wird. Diese letztere Operation bietet allerdings Gefahren dar, und die Batterien, die Tott, Toussaint, Monier aufführten, können von Kriegsschiffen nur schwer zum Schweigen gebracht werden, obgleich sie zu nieder stehen, und aus Materialien gebaut sind, die sie bald unhaltbar machen müssen. Wer aber wollte Truppen-Ausschiffungen an den Küsten Europas und Asiens verhindern? Würden die von Amurat IV an der schmalsten Stelle der Meerenenge erbauten Schlösser alsdann nicht gleich den Werken der französischen Ingenieurs, ein leerer Popanz seyn?

Würden die Türken, auf diese Art von der Land-, wie von der Seeseite her angegriffen, es da wohl versuchen, die beiden alten Mauern zu vertheidigen, die, von zweihundert und fünfzig Thürmen gedeckt, Constantinopel umschließen? Könnte die Pforte St. Romano, durch welche sie 1453 in die Stadt drangen, sich nun nicht auch vor den Russen öffnen? Wie wollten sie die Wirkung der Granaten und Bomben abwenden, die Tod und Brand in die Stadt tragen würden, die von Holz erbaut ist, bestimmt ein Aschenhaufen zu werden? Durch was wollen sie, (nachdem sie es vernachläßigt haben, die von den Griechen gegrabenen mächtigen Cisternen zu erhalten,) die Zerstörung der Wasserleitungen ersetzen, welche das Wasser aus einer Entfernung von zwölftausend Toisen herbeiführen? Ihr Muth, ihre Tollkühnheit, ihr Fanatismus kann sie nicht retten; sie werden erliegen, und die gerächte Menschheit und die freudig sich wieder aufrichtende Civilisation werden ihrer Niederlage Beifall rufen.

Aber diese Lösung des Knotens könnte für einen Augenblick unsicher gemacht werden, wenn Oesterreich und England die Türkei vertheidigen wollten. Würde sich ein österreichisches Corps an den Grenzen Siebenbürgens aufstellen,[WS 1] während die Hauptarmee längs der Donau herabzöge, so würde dieß hinreichen, den Marsch der Russen aufzuhalten: nie würden sie es wagen, den Fluß, und noch weniger den Balkan zu überschreiten, in Gegenwart eines Feindes, der sie im Rücken und auf der rechten Flanke angreifen könnte. Wahrscheinlich würden sie nicht zaudern, den Krieg auf ein für sie günstigeres Theater zu spielen, wo sie eine bessere Operationsbasis hätten. Ueber Polen würden sie, vereinigt mit Preußen, die Vertheidiger der Türken angreifen; eine Schlacht würde ihnen Gallizien in die Hände geben; eine zweite Schlacht würden ihnen gestatten, verdeckt gegen Ollmütz vorzurücken, und vor dem Ende des Feldzuges könnten sie vielleicht unter den Mauern Wien, wie einst Potemkin in den Wüsten der Krym, die Inschrift aufrichten: Weg nach Constantinopel! .. Oesterreich weiß dieß; es wird alle diplomatische Feinheit, alle Aufschubsmittel erschöpfen, aber es wird keine Lunte anzünden gegen einen Feind, den es fürchtet, und mit Recht fürchtet.

Es gibt überdieß, sagt ein französischer General in einem ungedruckten, uns freundschaftlich mitgetheilten Memoire, [1] ein Wort, dem eine Macht nie widersteht, das jeden Zorn entwaffnet und jeden Zweifel niederschlägt, das Zauberwort – Theilen wir! Sollte Oesterreich sein Ohr verschließen, wenn es einen so schönen Theil an der Beute seiner Nachbarn haben kann? Bosnien und ein Theil Serviens stehen ihm so gut an! Welche herrliche Grenzlinie könnte man ziehen von den Mündungen des Cataro, oder vom Golfe des Drinn bis zu dem Ausflusse der Morava! Dann würden seine Provinzen am adriatischen Meere durch nichts mehr von Siebenbürgen getrennt seyn, und es böte, im Mittelpunkt Europa’s, eine feste, unerschütterliche Masse dar.

Nicht so leicht ist England zufrieden zu stellen; es hat nicht dieselben Gefahren zu fürchten, während sein Dazwischentreten der Türkei gleich nützlich seyn kann. Zwölf Linienschiffe, zehn Bataillone, fünfzehnhundert Canoniere können die Russen scheitern machen, oder doch lange Zeit einen glücklichen Erfolg des Kampfes hintertreiben. Gehen wir auf einige Details ein, um diese Meinung, die gewagt scheinen möchte, zu rechtfertigen.

Das durch die Donau gebildete Thal scheint auch dem Dniepr und Dniester gemeinschaftlich, und bis an die Krym ist das Ufer flach und der Zugang schwierig. Liefe es so bis zum Eingang in den Bosporos fort, so würden flache Fahrzeuge, eine Ausrüstung gleich der von Boulogne, hinreichen, die russische Armee zu verproviantiren und ihren Marsch zu begünstigen. Jenseits der Mündung der Donau aber, beim Dorfe Kara-Hirman, dessen Schloß die Russen in die Luft sprengten, wird das Ufer plötzlich steiler; ein tiefes Meer strömt durch die aufsteigenden Höhen, deren einwärtsgehende Winkel Seehäfen und Rheden darbieten, in denen die hochbordigen Schiffe eine Zuflucht suchen können, und vor denen kleinere Fahrzeuge nicht vorüber zu fahren wagen würden. Hier findet sich Warna, der Meerbusen von Burgas, der, in einer Weite von fünf Stunden, mehrere gute Ankerplätze enthält, wo wie von Sitzeboli bis an den Bosporos noch mehrere andere Häfen.

Dieß ist der Schauplatz auf dem die englische Marine auftreten kann; in wenigen Tagen würde ihre herrschende Flagge ohne Rival auf dem ganzen schwarzen Meere wehen. Wechselweise würde sie Odessa bedrohen, den Stapelplatz des Handels, Akhtiar (Sebastopol), wo die in Cherson gebauten Schiffe bewaffnet werden, Sukum-Kale, an der Küste von Abasa: mit Hülfe der Dampfschiffe würde sie die Flüsse hinauffahren; sie würde auf allen Punkten Truppen ausschiffen, die sie an den Küsten Asiens aufnähme, und würde so den Feind nöthigen, sich durch

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage:aufstellten
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_575.jpg&oldid=- (Version vom 21.9.2023)
  1. In diesem Memoire, das Dumouriez in einem Alter von mehr als 80 Jahren schrieb, spricht er seine Wünsche aus, daß die Türken aus Europa vertrieben werden, und Frankreich einige Vortheile daraus ziehen möchte.