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Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 158. 6 Juny 1828.

Alexander de la Borde’s Reisen in der Levante.


Aleppo. Die Beduinen. Palmyra. Jerusalem.
(Fortsetzung.)

Der Weg von Adene nach Aleppo ist derselbe, den Alexander einschlug, um Darius entgegen zu gehen. Das Schlachtfeld vom Issus fand ich ganz so, wie es die Historiker beschreiben: eine von dem Gebirg und dem Meer eingeschlossene Ebene, die so gut für den macedonischen Phalanx paßte, und wo Tapferkeit die Zahl ersetzen konnte. Antiochia und seine mächtigen Ruinen, die Lustwäldchen der Daphne und die Ufer des Drontes hielten uns einige Tage auf; aber die Verheerungen der Pest störten alle unsere Plane. Wenn wir über die Todtenäcker der Dörfer gingen, sahen wir mit Schrecken die Menge der neuen Gräber, und die frischen Blumen, welche die Türken auf die Rasen gepflanzt hatten. Unangenehm aufgeregt von diesen Gedanken kamen wir nach Aleppo. Eine Stunde vor dieser Stadt kam der französische Consul, Hr. von Lesseps, der schon zuvor von unserer Ankunft unterrichtet war, mit den ersten französischen Handelsleuten uns zu Pferde entgegen. Sie wagten aber nicht, uns zu nahen, da entschieden worden war, daß wir zehn Tage Quarantäne halten sollten. Erst als wir vor unserm Quartier ankamen und vom Pferde stiegen, rief Lesseps: Ich kann mich nicht halten, mag daraus erfolgen, was da will! und warf sich in meine Arme; die anderen Franzosen machten es eben so mit meinen Reisegefährten, und von der Quarantäne war keine Rede mehr. Es reisen so wenig Franzosen in jenen Ländern, daß die Ankunft des einen oder des andern stets ein Fest für unsere armen Landsleute ist. Zwei Monate nachher raffte die Pest einen Theil derer dahin, die das Erdbeben verschont hatte.

Von Aleppo gingen wir nach Palmyra. Dieser schwierige Ausflug bildet eine isolirte Episode in einer Reise durch die Levante, wie die Stadt selbst einsam in der Wüste liegt. Gewöhnlich geht man über Homs oder über Hama. In diesen beiden Städten trifft man Leute, die in Verbindung mit den arabischen Chefs sind, und mit ihnen unterhandeln, daß sie den Reisenden als Führer dienen: es sind dieß gewissermaßen die Mäkler der Wüste. Der bedeutendste derselben, der Scheikh Thala, der die Mekka-Caravane von Hama nach Damaskus escortirt, schickte sogleich einen Eilboten an einen im Augenblick höchst geachteten Chef; ich sage im Augenblick, denn in der Wüste ist die Macht sehr veränderlich, sie geht von Stamm zu Stamm, je nachdem diese Stämme sich unter sich vereinigen, oder von den jährlich vom Euphrat und vom Tigris aus ankommenden Stämmen überwogen werden. Vier Tage nachher sahen wir den Mann ankommen, der uns führen sollte. Er nannte sich Scheikh Nahar, aus dem Stamm der Löwen, aus der großen Familie der Anesäer. Er gebot über ungefähr 10,000 Menschen, die in sechstausend, auf dreißig oder vierzig Quadratmeilen herum zerstreuten, Zelten lebten. Er war sehr groß, gegen sechzig Jahr alt, mager und von der Sonne verbrannt wie alle Beduinen; mit einem gewendeten Schaf-Fell bedeckt, das röthlich bemahlt war und ihn dadurch von seinen Untergebenen auszeichnete; sein Gang war stolz und ernst; über sein Gesicht verbreitete sich, wenn er lächelte, eine gewisse Milde; in der Regel aber war sein Ausdruck schwermüthig und einen geheimen Kummer verkündend. Er sprach sehr wenig, und stets in demselben ruhigen, leidenschaftlosen Ton. Unsere Vorbereitungen waren bald getroffen. Nur zu der Bedingung, unsere Waffen abzulegen, konnten wir uns schwer verstehen; ohne dieß, sagte Nahar, könnte er nicht für unsre Sicherheit haften; die geringste Unvorsichtigkeit könnte uns ins Verderben stürzen. Blos mit diesem Einen Manne und drei seiner Stammgenossen, die zu Fuß waren, betraten wir die Wüste. Wir selbst waren sechs, sämmtlich zu Pferde, mit drei Kameelen zum Transport des Wassers und der Lebensmittel. Die erste Nacht brachten wir in dem Lager der Benikali zu, eines Theiles von dem Stamme der Embaraka, der auf der ganzen Grenzlinie der Wüste von Aleppo bis Damaskus sich ausbreitet. In der Nacht wurden wir durch einen plötzlichen Lärm aufgeweckt: es hatten sich in der Ferne einige Diebe gezeigt; das ganze Lager kam in Bewegung, und wir fühlten wie unangenehm es war, keine Waffen mehr zu haben. Die beiden folgenden Tage fiel nichts besonderes vor. Die drei Araber zu Fuß gingen gewöhnlich voraus, und recognoscirten das Terrain; oft setzten sie sich auf die Kameele, um einen weitern Umblick zu erhalten. Beunruhigt durch das geringste Geräusch, aufmerksam auf die kleinste Bewegung, fürchtet der Mensch, der in dieser furchtbaren Einsamkeit dem Menschen fremd ist, in dem Begegnenden stets einen Feind zu finden. Auf ungeheure Entfernungen erblickt man sich und weicht einander aus; und hier, wo eine ganze Armee sich verlieren könnte, kann der Einzelne sich nicht verbergen.

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_655.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2023)