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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 159. 7 Juny 1828.

Persische Skizzen.


Der Ceremonienstreit.
(Fortsetzung.)

Zum Glück war der Eltschi ein Mann, der sich schon als Geschäftsträger bei mehreren Fürsten Indiens die edle Wissenschaft des Niedersitzens und des Aufstehens (Kaida-i-nischest-u-berkhast), d. h. den Inbegriff aller Grundsätze, Formen und Manieren eines feinen Benehmens, wie es nicht nur in der guten Gesellschaft überhaupt, sondern insbesondere an den asiatischen Höfen beobachtet werden muß, auf’s Gründlichste angeeignet hatte. Noch mehr, er hatte sich bei unserem ersten Auftreten in Persien vor zehn Jahren in jener Eigenschaft geltend gemacht und diesen formellen Asiaten Achtung abgenöthigt.

Aber wie mußten wir damals kämpfen, bis diese delicate Angelegenheit in’s Reine gebracht war! Für’s Erste wurden wir von dem Augenblick unsrer Landung in Abuschir an mit täglichen, ja fast stündlichen Uebungen geplagt: es wurde uns auf das Genaueste gezeigt, wo wir in Prozession zu reiten, wo wir zu stehen oder zu sitzen, wann wir uns vom Polster zu erheben, wie weit wir einem Gast von Rang entgegen zu gehen, wie weit wir ihn beim Abschied zu begleiten, kurz, wie wir uns an jedem Ort und unter allen Umständen zu benehmen hatten. Uebrigens war die Organisation unsers Steh-, Sitz- und Aufstehwesens noch von verhältnißmäßig geringer Bedeutung gegen die Wichtigkeit der Höflichkeitspflichten, die dem gebildeten Weltmann beim Rauchen seines Kelliâns, oder beim Trinken seines Kaffes obliegen. In der Art, wie man für Pfeife und Kaffe sorgt, gibt man zu erkennen, ob einem ein Besuch willkommen ist oder nicht; die geringste Vernachläßigung der Form wird eben so sehr als ein Mangel der Lebensart, wie als ein Verstoß gegen die schuldige Aufmerksamkeit und Achtung betrachtet. Steht der Besuchende im Range über euch, so wartet ihr ihm eigenhändig auf, und greift nicht eher selbst zu, als bis er’s euch heißt; steht er euch gleich, so wechselt ihr die Pfeifen aus und reicht ihm sie mit dem Kaffe, wobei ihr die nächste Tasse für euch nehmt; steht er etwas unter euch und ihr wollt ihn auszeichnen, so laßt ihr ihn zwar aus seiner eignen Pfeife schmauchen, aber der Bediente bringt ihm auf euren huldreichen Wink die erste Tasse; steht er endlich weit unter euch, so haltet ihr euch in gehöriger Entfernung von ihm und wahrt euern Rang, und erst, wenn ihr eure Tasse genommen habt, gebt ihr dem Bedienten ein Zeichen mit der Hand, jenem eine zu präsentiren. Mit einem Ruf nach Kaffe und Pfeife bewillkommt man, mit einem zweiten Ruf verabschiedet man; doch treten bei diesem Ceremoniel noch mancherlei Modificationen ein, welche von den Standes-Verhältnissen der Besuchenden zu einander oder von dem Grad ihrer Vertraulichkeit abhängen.

Jedermann rechnete damals auf unsere Unwissenheit in solchen Dingen: da war kein Bedienter, Kaufmann, Gouverneur, Befehlshaber oder Staatsbeamter, der es nicht bei jeder Gelegenheit auf eine Schmälerung unsrer Würde abgesehen hätte. Wir durften uns nicht das Geringste vergeben, wollten wir nicht den Erfolg unsrer Sendung aufs Spiel setzen. In Schiras kam es zuletzt noch zu sehr starken Auftritten, die aber die gute Folge für uns hatten, daß unsre Ansprüche, wie wir sie als die Repräsentanten einer großen Macht aufstellten, für immer gesichert und anerkannt wurden.

Der König war in Khorassan; aber in Schiras befand sich der Hof eines seiner Söhne, Hussein-Ali-Mirza, eines Knaben von 12 Jahren, der unter der Vormundschaft seiner Mutter, einer gewandten Frau, und seines Ministers Tscherâgh-Ali-Khan, diese Stadt mit der dazu gehörigen Provinz Fars dem Namen nach regierte. Wenn wir Mühe hatten, uns über Formen von wenigerem Belang zu verständigen, welche Schwierigkeiten erhoben sich erst, als wir über Formen unterhandelten, die wir beim Besuch eines Prinzen von Geblüt beobachten sollten?

Persischer Etikette gemäß saß Hussein-Ali-Mirza auf einem Nemmed oder dicken Filz, der über den Teppich gebreitet war und halb quer durch den obern Theil des Audienzsaals ging. Zwei Streifen Filz, zwei bis drei Zoll niederer, lagen zu beiden Seiten. Einen derselben nahmen die Minister und die Großen des kleinen Hofes ein, der andere war für den Eltschi und sein Gefolge bestimmt; aber nach einem geschriebenen Destur-ul-Amal (Programm), dem ein Plan des Zimmers beigefügt war, stand dem Eltschi nicht blos der Ehrenplatz auf unserem Streifen zu, sondern sein rechter Schenkel durfte noch auf dem Nemmed des Prinzen ruhen.

Der Eltschi trat ein, begrüßte den Prinzen und ging auf den ihm im Programm bezeichneten Sitz zu; aber der Ceremonienmeister wies ihn nach einem niederern, und da er sah, daß man davon keine Notiz nahm, so stellte er sich zwischen ihn und den Sitz. Hier blieb er wie eine

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_659.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)