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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 160. 8 Juny 1828.

Persische Skizzen.


(Fortsetzung.)
Persische Gesellschaft und Literatur. Die Grundidee zum Kaufmann von Venedig. Plagiate der Perser.

Wollte man die Perser für bloße Formenmenschen halten, so würde man ihnen sehr Unrecht thun. Gegen den Fremden und Unbekannten benehmen sie sich freilich steif und abgemessen; sie legen ihm die ganze Bürde ihres Ceremoniels auf, gleichsam prüfend, ob er ein gebildeter Mann sey. Diese Prüfung ist die vorläufige Bedingung, die man erfüllen muß, um auf ihre Achtung Anspruch machen zu können. Dann aber findet man an ihnen auch das munterste Volk von der Welt, Freunde der traulichsten Geselligkeit, deren Erholungspartien von der Art sind, daß sie sich hier für den gelegenheitlichen Zwang, den ihnen die Sitte auferlegt, schadlos halten; und sofern eine Gesellschaft überhaupt angenehm seyn kann, die ihres Hauptschmuckes, der Frauen, entbehrt, so ist es die persische: Prinzen, Befehlshaber, Staatsmänner, die sich ihrer Meisterschaft in den Manieren der feinen Welt rühmen mögen, bieten Alles auf, um auch als angenehme Gesellschafter zu gelten. Dichter, Geschichtschreiber, Astrologen, Schöngeister, Erzähler, kurz ausgezeichnete Männer jeder Art werden nicht nur in den ersten Cirkeln zugelassen, sondern auch mit der größten Achtung behandelt. Es ist nicht ungewöhnlich, daß der Edelmann vom höchsten Rang dem Gelehrten oder Belletristen, von dem die Gesellschaft Unterhaltung oder Belehrung erwartet, den Vortritt gibt, und daß der letztere durch die Anwendung des Talents, dem er diesen Vorzug verdankt, zeigt, daß er diesen Platz mit Recht einnimmt.

Ehe ich selbst die persische Gesellschaft kennen lernte, hörte ich über sie die widersprechendsten Urtheile. Ich merkte bald, daß man, um einen Genuß von ihr zu haben, sich einiger Maßen vorbereiten müße: ich widmete deswegen einen Theil meiner Zeit dem Studium der volksthümlichsten Werke Persiens in Versen und Prosa; ich machte Uebersetzungen, nicht blos von Gegenständen aus der Geschichte und der höhern Poesie, sondern auch aus dem großen Gebiete der Fabeln und Erzählungen, überzeugt, daß, während ich meine Sprachkenntnisse vermehrte, ich zugleich meine Vorstellungen von den Sitten und der Denkweise des Volks berichtigte. Jeder Perser besitzt eine gewisse Kenntniß seiner Literatur, und Anspielungen darauf sind so gewöhnlich in der Unterhaltung, daß man selbst diese Kenntniß besitzen muß, wenn man nicht überall als stumme Person figuriren will.

Im Morgenlande wirken mehrere bestimmte Ursachen zusammen, um dem gesellschaftlichen Wesen ein eigenthümliches Gepräge aufzudrücken, das den trockenen und abstracten Menschen des Westens nicht sogleich behagt. Es ist die Ueppigkeit einer urkräftigen Natur, die mit verschwenderischer Hand ihre Schätze ausschüttet und ihre blühenden Schöpfungen in die phantasiereichsten Formen kleidet, die sich auch der Sprache mittheilt und den Kreis ihrer Vorstellungen mitten unter die duftenden Gewürze und die glühenden Farben einer immergrünen Landschaft versetzt; es ist der Charakter der Menschen voll Leben, Einbildungskraft und Leidenschaft, denen die Erde alle Sehnsucht nach Genuß befriedigt, aber auf wucherndem Boden die rauhe Pflanze der Freiheit nicht erzeugen kann, die, gegenüber despotischen Obern, Familienvätern, Stammhäuptern und Königen, nie die nackten Worte der Wahrheit gelernt haben, sondern sich gefälliger Bilder und Allegorien, Fabeln und Mährchen bedienen müssen, „damit die Zunge der Weisheit sonder Gefährde nahe dem Ohr der Macht;“ es ist endlich der Bildungs-Zustand dieser Menschen, die in den meisten Gegenständen des Wissens noch wahre Kinder sind, wodurch auch die weisesten unter ihnen eine Redeweise anzunehmen genöthigt werden, welche die ernsten Mahnungen der Wahrheit nicht nur verständlich, sondern auch eindringlich macht. „Habt ihr keine Gesetze,“ sagte ich eines Tags zu Aga-Mir, „als den Koran und die Ueberlieferungen und Erläuterungen zu diesem Buch?“ „Wir haben,“ erwiederte er mit Nachdruck, „die Denksprüche von Sadi.“ Wollte ich nach meinen Beobachtungen urtheilen, so würde ich behaupten, daß Sadi’s Werk, das Jeder, der König wie der Bauer, kennt, eben so viel zur Milderung der Willkür und einer ungerechten Ausübung der Gewalt beiträgt, als das Gesetz des Propheten.

Eine sonderbare Erscheinung – diese Empfänglichkeit des Morgenländers für die intellectuellen Offenbarungen erleuchteter Männer, dieses Eindringen des geistigen Princips in das Leben, und doch wieder dieses oft weniger kindliche als abergläubische Festhalten an veralteten mangelhaften Formen und diese Selbstverarmung, eine nothwendige Folge des Stillstands mitten unter den Schwingungen der Zeit!

Aber Asien, einst die Heimath der Sagen, von wo all

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_663.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)