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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Hr. Clote, gelegenheitlich einen Zögling, warum er Anatomie studiere? „Weil es unmöglich ist, die medicinische Kunst auszuüben, ohne den menschlichen Körper zu kennen,“ war die Antwort. Ist aber dieses Studium nicht in dem Koran verboten? Der junge Mensch blickte ihn stolz an und erwiederte: „Nichts, was den Menschen nützt, kann im Koran verboten seyn.“ – Ein Mann, der dieß alles zur Aufklärung seines Landes thut, kann nicht dessen Unterdrückung wollen. Aber wie viele Besorgnisse knüpfen sich nicht an jene improvisirten Institutionen, an die von Eines Menschen Leben abhängende Civilisation. Das Schwert hängt über diesen Schulen des Geistes, die Fackel brennt neben diesen Pulvermühlen, diesen Arsenalen. Mit Begierde lauscht der Araber der Wüste auf den Augenblick, wo er sein altes Gebiet wieder an sich reißen, und in den Gärten von Schubra seine Kameele weiden lassen kann.

Ich übergehe die Alterthümer Egyptens, über die schon so vieles gesagt ist. Ein Dolmetscher der Sesostris und der Ptolemäer wurde unter uns geboren, und Egypten erwartet ihn, um ihm seine Mysterien zu entschleiern.

Ueber Griechenland endigten wir unsere Reise, so wie wir sie mit ihm begonnen hatten. In tiefer Noth hatten wir es verlassen; voll Hoffnung und Vertrauen fanden wir es wieder: durch Besiegung der Tyrannei hat es die Gleichgültigkeit entwaffnet. Durch die Gefälligkeit des Hrn. v. Rigny, des Siegers bei Navarin, ward es uns gestattet, auf unsern königlichen Fahrzeugen diese schönen Gegenden zu besuchen, von unsern tapfern Marine-Offizieren wie Freunde, wie Brüder behandelt. In Hydra fanden wir eine zahlreiche Bevölkerung, die, nachdem sie ihre ersten Bürger durch den Handel bereichert hatte, nun von ihren Wohlthaten lebt. In Poros sahen wir den Admiral der ganzen griechischen Flotte, Miaulis, mit eigner Hand sein beschädigtes Schiff ausbessern. In Aegina traten wir in Canaris bescheidenes Haus und trafen hier den tapfern Mann eben so einfach, eben so arm wie er immer gewesen war, keine Belohnung verlangend, keinen Festen beiwohnend, und seinen Ehrgeiz darauf beschränkend, ein Held zu seyn. Fabvier, auf der Halbinsel Methana, erschien uns wie Robinson in seiner Colonie, Kugeln aus Marmor machend, Mühlen aus Brettern, Brod aus Wurzeln, durch verdoppelte Thätigkeit sich für die Abwesenheit der Gefahren entschädigend, und in seinem eisernen Körper nur mit Mühe die feurige Seele zügelnd. Endlich empfing uns das gebeugte Athen mitten in seinen Trümmern. Noch steht es, nach so viel Belagerungen, ein Opfer seiner Triumphe wie seiner Unglücksfälle. Alle neuern Gebäude sind zerstört; aber es lebt noch in seinen Monumenten, die aufrecht stehn wie der Geist der Jahrhunderte, den Unwissenheit und Barbarei wohl einige Zeit in Fesseln legen, aber nie vernichten können.

Als wir diese Stadt verließen, wollten wir das Feld der letzten Schlacht besuchen, die unter Athens Mauern statt fand, wo ungeschickte Anführer Menschen zu Fuß, ohne Bajonnette, ohne Canonen, ohne irgend einen Stützpunkt auf eine offene Ebene führten. Man zeigte uns die türkische Batterie die auf Philopappus Grab aufgestellt war, und große Trümmer von den Säulen des Parthenons schlug. Man bezeichnete uns den weitesten Punct auf den die armen Griechen vorgerückt waren, und, schon in der Meinung in den Platz einrücken zu können, ihre Arme aufhoben zur Begrüßung ihrer Mitbürger, als die aus einem Hohlweg hervorbrechende türkische Cavallerie ein fürchterliches Blutbad unter ihnen anrichtete. Indem wir der langen Reihe ihrer Leichen folgten, die man ohne Grab gelassen hatte, gelangten wir auf das Feld des Phalerus, von wo sie ausgegangen waren. Werfen wir jedoch einen Schleier über dieses traurige Gemählde! Griechenland geht seiner Freiheit entgegen; es kann nicht lange mehr darnach schmachten dürfen. Die Ehre der Könige hat sich dem Interesse der Völker beigesellt. Der Grundsatz der Intervention, der bisher nur der absoluten Gewalt genützt hatte, tritt auch einmal für die Sache der Freiheit eines Volkes auf, der Freiheit, die es sich durch seinen Muth erwarb und durch seine Tugenden einst verdienen wird. Wie groß auch die Fehler der gegenwärtigen Generation seyn mögen, welcher aufgeklärte Mann wird nicht dennoch den Sieg einer Sache wünschen, die sich an die Heroenzeit des menschlichen Geschlechtes knüpft, und für die aufs Neue so viele Tapfern gefallen sind! In welchem Reisenden wird nicht der freudige Gedanke aufsteigen, daß vielleicht eines Tags eine glückliche Nation auf diesem klassischen Boden ihn in der Sprache Homers empfangen, und was noch von Phidias Geist, von Perikles Ruhm übrig ist, als heilige Reliquien unverletzt bewahren wird ! –

Nach dieser Auseinandersetzung unserer Reiseroute sollte ich von den verschiedenen Völkern sprechen, die das ottomanische Reich bilden: ich kann jedoch auch hier vorerst blos Skizzen liefern. Die Araber, vornehmlich die, welche die Grenzlinie der Wüste bewohnen, sind noch dieselben, wie uns die Schrift die Patriarchen beschreibt, mit ihren zahlreichen Heerden, ihrem herumschweifenden Leben und ihren einfachen Sitten. Die Griechen, obgleich mit sklavonischem und albanesischem Blute vermischt, bewahren noch viele Züge der alten Einwohner ihres Landes. Noch herrscht derselbe locale Geist, dieselbe Rivalität, dieselbe Neigung zu Trug und Seeräuberei, dieselbe Mischung großer Tugenden und großer Schwächen. Die Türken endlich, die wenig Fortschritte in der Civilisation gemacht haben, befinden sich noch in jener Art von Feudalzustand aus den letzten Zeiten des byzantinischen Reichs.

Dieses sonderbare Zusammentreffen gab mir den Gedanken, mich einer, jetzt schon ziemlich vorgerückten Arbeit zu widmen, die vielleicht einiges Interesse darbieten dürfte, und folgenden Titel führen wird: „Sitten und Character der gegenwärtigen Araber, betrachtet nach den heiligen Büchern; Sitten und Character der gegenwärtigen Griechen nach den klassischen Schriftstellern; Sitten und Character der gegenwärtigen Türken, nach den Schriftstellern des Mittelalters.“ Diese Portraits, denen ich keine Phrase, keine Bemerkung beizusetzen mir erlaube,

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_665.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)