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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

können dennoch in dem Lichte einer großen innern Wahrheit erscheinen, wenn es wahr ist, daß Tugenden und Laster sich mehr aus der Lage als aus dem Character eines Volkes entwickeln, und vorzüglich nur durch die Institutionen sich modificiren.

Trotz der Verschiedenheit der Religion, der Sprache und der Sitten jener drei Völker, gibt es doch gewisse Eigenschaften, die ihnen gemeinsam sind, die dem Boden selbst, auf dem sie entsprungen, anzugehören scheinen. Eine der vorzüglichsten, der wir zu besonderem Danke verpflichtet sind, ist die Gastlichkeit, die man überall findet, wie zu den Zeiten Abrahams und Homers. In den geringsten Dörfern ist ein Haus für den ankommenden Fremden, wo er von der Gemeinde vierundzwanzig Stunden lang freigehalten wird, ohne daß man ihn um Stand und Namen fragt. Die Formeln des Empfangs und des Abschieds sind in den drei Hauptsprachen ungefähr dieselben; sie drücken den Wunsch für das Wohl dessen aus, von dem man voraussetzt, daß er einem am theuersten sey. „Lebt wohl,“ sagte in der Regel mein Wirth zu mir, „Gott erhalte Euch Euren Sohn!“ „Lebt wohl“ sagte man zu meinem Sohne „Gott verlängere die Tage Eures Vaters!“

Man könnte ganz zufällig die Blätter unsers Tagebuchs aufschlagen, und man würde überall dasselbe Interesse finden, das jene Länder darbieten. Ich will nur eine Stelle ausheben, um eine Andeutung des Ganzen zu geben.

Als wir, nach vierzehntägigen Strapazen und Entbehrungen in der Wüste, von Palmyra nach Homs kamen, hörten wir, daß ein reicher türkischer Handelsmann, Namens Hadgi-Hassan, an den wir von Aleppo aus empfohlen waren, unserer warte. Der wackre Mann hatte schon seit zehn Tagen für den Unterhalt unserer vorausgeschickten Diener und Pferde gesorgt, und empfing uns nun mit einer Freundlichkeit, die ich nie vergessen werde. Er wünschte, daß wir vier Tage bei ihm bleiben möchten, um uns von unsern Strapazen zu erholen, und während dieser Zeit erwies er uns eine Aufmerksamkeit, mit einer Verschwendung und zugleich mit einer Zartheit, wie man sie wohl schwerlich irgendwo in Europa treffen möchte. Seine Unterhaltung war ebenso geistreich als belehrend. Die Ayans oder Vornehmen der Stadt, der Gouverneur, der griechische Bischof, kamen in sein Haus, und zeigten die größte Achtung vor ihm. Beim Abschied wollte ich ihm, nach der Sitte des Orients, ein Geschenk machen; ich überreichte ihm eine goldne Uhr und ein Gewehr. Er aber erwiederte: „Werdet nicht böse über mich, mein lieber Gast, wenn ich Euer Geschenk nicht annehme; auch andere Reisende haben mir eine ähnliche abschlägliche Antwort schon verziehen. Was Ihr mir anbietet, ist mehr, als ich für Euch gethan habe, aber es ist weniger, als ich von Eurer Freundschaft erwarte. Versprecht mir, wenn Ihr zu Eurer Familie zurückgekommen seyn werdet, mir irgend eine, wenn auch noch so unbedeutende Kleinigkeit zu schicken, die aber aus Eurem Lande kommen muß, so daß ich sehe, daß Ihr an mich gedacht habt; denn nicht Eure Erkenntlichkeit wünsche ich, sondern Euer Andenken.“ Lebhaft gerührt von diesen Worten, drückte ich seine Hände, und versprach was er wünschte. „Verzieht einen Augenblick,“ sagte er, „wir gehen zusammen; ich habe Eure Pferde vorausgeschickt; die Straßen der Stadt sind eng, es ist bequemer zu Fuß zu gehen, und ich erhalte Gelegenheit, noch länger bei euch zu seyn.“ Wir machten uns langsam auf den Weg, und als wir über den Bazar kamen, bemerkte ich, daß uns Leute seines Hauses mit großen Brodkörben folgten, die sein Neffe an den Buden des Bazars noch mehr anfüllen ließ. Da sagte ich: „Hadgi Hassan, Ihr habt uns genug Brod auf unsern Weg gegeben.“ „Dieß ist auch nicht für Euch bestimmt,“ war seine Antwort. Vor der Stadt trafen wir unsere Pferde. Eine Menge Volks war uns gefolgt, und wir sahen uns, wie immer, von Armen umgeben, denen wir eben Almosen austhheilen wollten, als unser Wirth seine Stimme erhob: „Stellt euch alle hieher! Fordert nichts von den Fremden! Hier ist alles Brod, was sich heute auf dem Markte fand; es wird unter euch vertheilt werden: vereinigt eure Gebete mit dem meinigen, damit Gott diesem Freunde und den Seinen gnädig sey auf ihrer Reise.“

Trefflicher Mann! der, den du so freundlich aufnahmst, ist zurück bei seiner Familie; er hat von seinen Mitbürgern eine Huldigung erhalten, die er entfernt nicht erwartet hatte [1]; er ist sehr glücklich; aber noch bleibt ihm Zeit an Hadgi-Hassan zu denken, und ihm alles Glück zu wünschen, was seine Tugenden verdienen.

  1. De la Borde ward bekanntlich gerade im Augenblick seiner Rückkehr in die Kammer der Deputirten gewählt.


Die große Cisterne in Constantinopel.

Wir traten in ein Privathaus, stiegen eine lange Reihe von Stufen hinab und befanden uns am Ufer eines unterirdischen Sees, der sich unter mehreren Straßen ausdehnt. Das Gewölbe ruht auf hundert sechs und dreißig prächtigen Marmorsäulen. Eine Menge Eimer gehen in die Tief nieder, in welchen die Einwohner ihr Wasser schöpfen. Von allen Wasserbehältern, welche Constantinopel der klugen Vorsorge seiner griechischen Kaiser verdankt, ist dieser allein noch übrig. Der Türke, durch dessen Haus wir hineinkamen, nannte ihn den unterirdischen Palast (yeré batan Sarai), mit der Bemerkung, daß die Nachbarn, obgleich ihre Häuser darüber gebaut wären, nicht einmal von dessen Existenz etwas wüßten. Aus dem allgemeinen Zerfall, in welchem die Festungswerke, nebst allem was dazu gehört, erscheinen, geht hervor, daß die Türken seit ihrer Eroberung nirgends eine Ausbesserung vorgenommen haben müssen.

Wenn der Sultan die Cisternen nicht herstellen läßt und dadurch einem Wassermangel vorbeugt, so kann die Stadt nicht eine Woche lang eine Belagerung aushalten.

Narrative of a Journey from Constantinople
to England. By Dr. Walsh. London 1828.

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_666.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)