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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

wir verdanken ihnen die Erhaltung unsers Gebiets und sie werden uns nicht hindern, die alten Grenzen Galliens wieder zu gewinnen. Die Ottomanen aber sind Barbaren, deren Erhaltung nur eine veraltete falsche Politik im Interesse Frankreichs finden konnte. Es ist Zeit, daß man sie über den Bosporos zurückwirft, daß man die Völker, die unter ihrem Joche schmachten, befreit, aber nicht die Nachkömmlinge der Griechen allein, sondern auch die Thrazier, die Armenier, die Juden.“

Ich würde geschwiegen haben, wenn die Frage nicht zu wichtig wäre, wenn sich in das glänzende Gemälde nicht einige ziemlich bedeutende Verstöße gegen dessen Wahrheit eingeschlichen hätten. Es scheint, den General habe der Reichthum seiner Darstellungskunst verführt, so daß er vor seinen Lesern blos seinen Witz spielen lassen wollte. Er versetzt sie bald in den Osten, bald in den Westen; er hält sie schwebend zwischen Furcht und Hoffnung. Bald soll eine Schlacht, „deren Entscheidung nicht zweifelhaft seyn kann,“ Konstantinopel und das Reich der Osmanen niederwerfen, zwei Schlachten sollen die Eroberung von Wien und Oestreich vollenden; bald leisten die Türken mit Hülfe einiger englischen Kriegsschiffe und Soldaten einen unbesiegbaren Widerstand. Indem der General so mit Hypothesen spielt, führt er etwas aus einander laufende Operationslinien über Wien, Sophia und Kleinasien nach Byzanz. Er schreibt Rußland Absichten auf Bombay, Calcutta und Indien zu. Umsonst sucht man in diesem merkwürdigen Abschnitte seines Aufsatzes eine Widerlegung desjenigen, den er bekämpft. Er schließt endlich, wie sein Vorgänger, mit dem Wunsch, Frankreich das System einer bewaffneten Neutralität annehmen zu sehen, wiewohl sich nicht verkennen läßt, daß er sich von einer Allianz mit Rußland beträchtlichere Vortheile verspricht.

(Forts. folgt.)


Persische Skizzen.


(Fortsetzung.)
Die Fabel von den zwei Katzen. Der hyperbolische Stil. Zwei Parabeln von Sadi.

Wenn nicht geleugnet werden kann, daß die Perser in Bezug auf poetische Erfindung den Indiern nachstehen, so besitzen sie dagegen jene blendende Kunst der Darstellung, welche die schlichten Werke des indischen Genius mit seltenen Reizen ausgestattet aus ihren bildnerischen Händen hervorgehen läßt. Das kleinste Thier, das sie in die Fabel einführen, spricht eine Sprache, die einem Könige Ehre machen würde. Die ganze Natur öffnet ihnen ihren Bildersaal, und welche Natur! und wie gestaltet in diesen phantasiereichen Seelen! Darum ist der blühende Stil (Ibâret-i-Rendschin) ihre Hauptstärke; aber die Mine ihrer Literatur ist so ergiebig, daß sie eben sowohl den glänzenden Diamant als den nützlichen Baustein zu Tage fördert, ebensowohl, um Schlösser in die Luft als auf die Erde zu bauen, Materialien liefert. Man findet Redewerke, in denen eine an das Schwülstige grenzende Ueppigkeit herrscht, und wieder andere, welche als Muster edler Einfachheit dienen können. Ein gewisser leichter Humor zeichnet die von der letztern Art nicht selten aus. Wir geben zum Beleg die Fabel von den zwei Katzen, vermuthlich die Quelle, woraus unsere „Stadt- und Landmaus“ geflossen ist.

„Es war ein altes Weib in den Tagen der Vorzeit, die lebte in einer Hütte, die war enger als die Seele des Unwissenden, und dunkler als das Grab des Unglücklichen. Das Weib hatte keinen Umgang als eine Katze. Dieses arme Thier kannte das Brod nicht einmal dem Namen nach, und wußte noch weniger wie es aussah, denn nie hatte der Spiegel der Einbildungskraft dessen Erscheinung ihm entgegengestrahlt oder war dessen Namen aus dem Munde eines Freundes oder eines Fremden zu seinem Ohr gelangt. Genug, daß sie dann und wann eine Maus roch oder die Fußstapfen von einer auf der Flur bemerkte; wenn ihr aber vollends die Gunst der Sterne oder ein gütiger Zufall eine in die Klauen führte, dann fühlte sie sich überglücklich

Dem Bettler gleich, der einen Schatz entdeckt und in dem Wonrausch,
Der seine Wangen röthet, der überstand’nen Noth nicht mehr gedenkt [1]

An einem solchen Schmaus labte sie sich eine Woche oder länger, und sie rief wohl manchmal aus:

O Gott! wie ist mir? Wacht’ ich wirklich und es wär’ kein Traum,
Daß mir nach solcher Widerwärtigkeit solch Heil geblüht?

Da jedoch die Wohnung des alten Weibes nach wie vor eine Herberge des Hungers für die Katze blieb, so klagte sie beständig und entwarf allerhand närrische und abenteuerliche Plane. Eines Tages war sie wieder weit heruntergekommen, und schleppte sich mit großer Anstrengung auf das Dach der Hütte, als sie auf der Mauer des Nachbarhauses eine Katze gewahr wurde, die, wie ein wilder Tiger, mit gemessenen Schritten einherstieg, und so mit Fleisch beladen war, daß sie ihre Füße kaum aufheben konnte. Die Freundin des alten Weibes ward so überrascht von dem fetten und wohlgenährten Aussehen einer ihres Geschlechts, daß sie folgende Rede an sie richtete:

Du trittst so stattlich auf: o sag, wo kommst du her?
Von wannen diese liebliche Erscheinung?
Man sollte glauben, vom Bankett des Khans von Khatal,
Und wie kamst du zu diesem Anstand, dieser Kraft?

Ich bin des Sultans Abträgerin, erwiederte jene; jeden Morgen, wenn man die Tafel deckt, begebe ich mich nach dem Palast und zeige meine Gewandtheit und meinen Muth. Aus der Fülle der köstlichen Braten und Waizenkuchen hole ich mir dann einige ausgesuchte Bissen, ziehe mich damit zurück und bringe meine Zeit bis zum nächsten Tag in vergnüglicher Sorglosigkeit zu.

Des alten Weibes Katze begehrte zu wissen, was diese köstlichen Braten seyen und wie dieser Waizenkuchen schmecken? Was mich betrifft, setzte sie in schwermüthigem Tone hinzu, ich habe mein Lebenlang nichts gegessen und nichts gesehen als des alten Weibes Hafergrütze. Lächelnd entgegnete die andere: Mir wird es immer schwerer,

  1. Strophen, aus berühmten Dichtern entlehnt, dürfen bei Compositionen dieser Art nicht fehlen.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_672.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)