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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

so wird in Rußland, seit der Errichtung des ersten katholischen Erzbisthums zu Mohilew im J. 1782, der Erzbischof vom Kaiser eingesetzt, und es darf keine Bulle vom Papste ohne Sanction der Krone angenommen werden; in Preußen bestätigt der Papst die Bischöfe nur der Form nach, indem der König zum Haupte der Kirche in seinen Staaten erklärt ist; es gibt eine Appellation an eine Synode, oder an den Souverän, aber keine an den Papst. Es ist kein Zweifel, daß auch Großbritannien, wenn es nur mit Festigkeit auf seinem System beharrt, die Anerkennung desselben von den Katholiken erhalten wird.“

Die Debatten wurden drei Tage lang mit Lebhaftigkeit bis tief in die Nacht fortgesetzt. Wer indessen den verschiedenen Rednern, welche nach einander für oder gegen die vorgeschlagene Maßregel auftraten, nicht mit sehr angestrengter Aufmerksamkeit gefolgt wäre, würde von allen den langen und kurzen Reden, die er gehört hätte, schwerlich mehr im Gedächtniß behalten haben, als die Phrasen: Staatsreligion und Gefahr für den Protestantismus; der Tractat von Limerick und Mr. Pitt; die Verwerflichkeit des Katholicismus und die Verbindlichkeit eingegangene Versprechungen zu halten. Merkwürdig war in Beziehung auf das Letzere eine Anekdote, die Sir J. Newport anführte. „In einer Debatte, welche in diesem Hause statt fand, erzählte er, machte ich dem edlen Lord, der in Ireland für die Union unterhandelte – (der verstorbene Lord Castlereagh) – den Vorwurf, gegen die große Masse des irischen Volkes einen Treubruch begangen zu haben, indem er die den Katholiken zur Zeit der Union gegebenen Versprechungen nicht hielt. Der edle Lord erhob sich mit dem Unwillen, welchen jeder Ehrenmann fühlen muß, wenn ihm eine Verletzung von Treu und Glauben Schuld gegeben wird, und erklärte, daß die Worte, deren man sich in Bezug auf einen ihm vorgeworfenen Treubruch bedient habe, unwahr gewesen wären; er wies jede solche Anschuldigung zurück und fügte hinzu: „Ich berufe mich auf meinen sehr ehrenwerthen Freund Mr. Elliot, zum Beweise, daß keine Versprechungen gegeben wurden. Der auf diese Weise aufgerufene Freund stand auf und sagte: „Mein alter Freund hat Recht, es wurden keine Versprechungen gegeben.“ – Lord Castlereagh rief sogleich aus: Hört! hört! Worauf Mr. Elliot entgegnete: „Der edle Lord wird mich aushören. Es wurden keine Versprechungen gegeben; aber wenn mein edler Freund damit sagen will, es wären keine Anerbietungen gemacht, keine Erwartungen erregt, keine Voraussetzungen veranlaßt worden, daß die unmittelbare Folge der legislativen Union die Emancipation der Katholiken seyn würde, und daß ohne diese Voraussetzungen und Andeutungen die Union dennoch bewerkstelligt worden wäre – mein edler Freund wird dieß nicht behaupten wollen, weil ich weiß, er ist ein Mann von Ehre.“ – Der edle Lord hat nie auch nur ein Sylbe zur Antwort gegeben.“

(Fortsetzung folgt.)


Volksbildung in England.


(Fortsetzung.)

Erster Abschnitt. Das gesammte Schul- und Unterrichtswesen in England, in so fern es Staatsanstalt ist, bildet nur einen Theil der herrschenden (anglicanischen) Kirche, steht daher unter kirchlicher Aufsicht und theilt alle Mängel und Gebrechen dieser Kirche. Die Schulanstalten sind unbeweglich, wie die Kirche; sie repräsentiren nur die vergangenen Jahrhunderte, in denen sie entstanden sind, und während in den letzten fünfzig Jahren das Unterrichtswesen in andern Ländern so ungeheure Fortschritte in Theorie und Praxis gemacht hat, beharren jene Anstalten unwandelbar in ihrer veralteten Form. Schon deßwegen konnten sie der Nation nicht mehr gefallen. Dazu kommt, daß es in diesem Theile der Staatseinrichtungen an einer wesentlichen und nothwendigen Gattung von Instituten gänzlich gebricht, nehmlich an denen, die in Deutschland Real- und technologische Schulen genannt sind. Endlich bildet das öffentliche Unterrichtswesen, wie die Staatskirche, nur einen Theil einer Constitution, die ursprünglich blos das Werk der Tories war; und dies vollendet die Abneigung des Volks, besonders in Städten, gegen die Bildungsanstalten des Staats. Daher denn die mancherlei oft sehr dürftigen Auskunftsmittel, zu denen man seine Zuflucht nahm. [1] Endlich wählte man zur Abhülfe dieses allgemein gefühlten Bedürfnisses dieselbe Basis, auf welcher die meisten andern Kulturanstalten und so viele große und bewunderte Nationalwerke erwachsen sind – die ganz volksthümliche Basis der Societäten; nur blieb hier, was man zur Ehre der Nation gestehen muß, jede Einmischung pecuniärer Spekulation entfernt. Auf diesem Boden gedieh schnell, was der unfruchtbare Grund der bischöflichen Kirche verweigerte; durch Societäten kamen schnell niedere und höhere Bildungsinstitute zu Stande (Infant-Schools,, Gymnasien und Universitäten). Auf derselben Basis wurde nun auch für die Bildung der Nation im Großen versucht, was Staat und Kirche entweder ganz unterließen oder nur so dürftig leisteten, daß es nicht in Betracht kommt. [2]

Dieses System des Volksunterrichts im Großen, wovon die Mechanics Institutions nur eine Theil, wiewohl den bedeutendsten, ausmachen, besteht in einer Reihe von Veranstaltungen und Einrichtungen, die bald vereinzelt,

  1. Dahin gehört besonders das Wegschicken der Kinder nach andern Ländern, und die Errichtung von Privatinstituten. Die Zahl dieser Institute beläuft sich in London allein auf etwa 4000, unter den mancherlei Titeln von Academics, Scientific Institutions, Boardingschools, Institutions on the Principles of the Renowned Pestalozzi u. s. w. Sie sind aber alle ohne Werth, weil sie auf Plusmacherei berechnet sind.
  2. Es gibt nichts Elenderes, als die Volksschulen in England, die nur ein Anhang der Kirche sind; kaum lernt man hier Lesen und Schreiben. Die Kirche lehrt nur Dogmatik und Intoleranz.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_680.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)