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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

bald unter sich verbunden sind, deren Zweck ist, „die große Masse der Nation zu einer größern Summe von Kenntnissen und einem höhern Grade intellectueller Entwickelung und sittlicher Veredlung zu führen.“

Dieses System unterscheidet sich von andern Bildungseinrichtungen erstens dadurch, daß es nicht für Unerwachsene sondern nur für den erwachsenen Theil des Volks bestimmt ist. Es würde freilich noch weit mehr geleistet werden, wenn es sich, was nicht der Fall ist, auf gute Volksschulen stützen könnte. Zweitens: während andere Unterrichtsanstalten entweder blos gelehrte Bildung erzielen, oder doch nur für begüterte Klassen vorhanden sind, sucht man hier durch so wohlfeile Einrichtungen, daß auch den Armen und wo möglich den Aermsten, besonders unter den arbeitenden Klassen, Theilnahme gestattet ist, eine auf die Zwecke des wirklichen Lebens berechnete Bildung in sittlicher, wissenschaftlicher und nationeller Hinsicht zu ertheilen. Wir haben hier die arbeitende Klasse ausgezeichnet; dieses Klasse (workmen labouring classes) bildet nehmlich in England eigentlich die große Masse der Nation; sie begreift nicht allein die ungeheure Anzahl aller derer, die in den vielfachen Zweigen der Industrie im engern Sinne (Manufakturen, Fabriken, Handwerken etc.) beschäftigt sind, sondern auch einen großen Theil derer, die im Handlungsfache arbeiten, so wie, nach der Eigenthümlichkeit des englischen Agrikulturwesens, den Stand der Bauern. Diesen unbemittelteren aber größten Theil der Nation hat das in Frage stehende System vorzüglich im Auge, ohne jedoch die Bemittelteren, vorzüglich die kleinern Landeigenthümer und Pächter, auszuschließen, wie aus der Folge erhellen wird.

Die bisherigen Andeutungen führen nun schon auf die Art und den Umfang der Bildung, die hier vorzüglich erzielt wird. Diese Anstalten schließen sich durchaus an die Bedürfnisse des Nationallebens und die Kulturstufe unsers Jahrhunderts, und zwar auf eine möglichst umfassende Art, an. Es bedarf daher kaum der Erwähnung, daß von der gelehrten historischen Unterlage, auf welcher sowohl die Fach- und Berufs-, als auch die allgemeine humanistische Bildung in gelehrten Instituten beruht, hier nicht die Rede ist; aber dieses gelehrte Element abgerechnet, erstrebt man im Uebrigen so viel nur immer nach den Umständen möglich ist. In dem Kreise dieses Systems liegt also theils der specielle Unterricht für die verschiedenen Berufsarten der arbeitenden Klassen, theils eine allgemeine nationelle und humanistische Bildung. In der ersten Hinsicht haben natürlich diejenigen Veranstaltungen, welche mehr für die Landleute berechnet sind, andere Unterrichtsgegenstände, als diejenigen welche für die Mechaniker bestimmt sind[1]; eben so natürlich ist es, daß man hier überall auf die Umstände, die pecuniären Mittel, den Grad der Bildung, die vorherrschende Beschäftigung u. s. w. Rücksicht nimmt; die Mechanics Institutions in kleinern Orten haben eine geringere Unterrichtssphäre, als in größern Städten; die Lehrvorträge in den letztern umfassen, außer der gemeinsamen Grundlage (Arithmetik, Geometrie, Algebra, Physik, Chemie, Naturgeschichte u. s. w.) beinahe alle einzelnen Theile der Gewerbkunde. In der zweiten Hinsicht sucht man Kenntnisse in Geographie und Geschichte (allgemeiner und specieller Geschichte von England), Nationalökonomie, in der Verfassung (politischen und kirchlichen) Englands, so wie in den allgemeinen Grundsätzen der Politik, nach den Umständen auch in neuern Sprachen, endlich Geschmacksbildung, so wie eine wahrhafte, gereinigte ethische und religiöse Bildung immer allgemeiner zu verbreiten. Daß man auch diese letztere überall im Auge hat, macht den Patronen dieses Systems vorzüglich Ehre. Eigentliche theologische Belehrungen aber sind, wegen der vielfachen religiösen Sekten in England, mit Recht ausgeschlossen. – Ueberall hat man den Grundsatz angenommen, die Masse des Volks zu der höchsten Stufe der Kultur, deren sie nur fähig ist, hinzuführen, und den Unterschied der Stände nicht länger als Scheidewand der intellektuellen und sittlichen Bildung gelten zu lassen. „Ich rede – sagt Herr Brougham in der angeführten Inauguralrede – in einer Stadt, aus welcher die hervorgingen, die durch ihren Genius, nicht durch Ahnen geadelt waren, deren seltene Verdienste allen Ständen den Tempel der Wissenschaften geöffnet haben; deren erlauchtes Beispiel auch die Niedrigsten mit dem edlen Wetteifer beseelte, Höhen zu erklimmen, die nicht länger unzugänglich waren, und in das geöffnete Heiligthum zu dringen, in das der Tag sein Licht warf. Ich rede in der Stadt, in welcher Black einst lehrte und Watt lernte. Der Versuch wurde später in unsern Tagen gemacht, und der Beweis geliefert, daß die höchste intellektuelle Kultur mit den täglichen Beschäftigungen der arbeitenden Klasse vollkommen verträglich ist, und daß ein lebendiger Sinn für die erhabensten Wahrheiten der Wissenschaft auf gleiche Weise in allen Ständen der Gesellschaft geweckt werden mag.“

Ein anderer mit den Gesetzen der menschlichen Natur vollkommen übereinstimmender Grundsatz bei dieser Volksbildung im Großen ist, daß das Volk überall möglichst selbst, durch eigne Thätigkeit, das Werkzeug seiner Belehrung und Kultur werden, daß es weithin ein inneres Bedürfniß und einen innern Trieb nach höherer Bildung fühlen müsse; daß das Geschäft der Volksfreunde aus den höhern und reicheren Klassen der Gesellschaft hauptsächlich nur darin bestehen dürfe, jene Lust und Liebe für Kultur zu wecken, mit den nöthigen Planen und Entwürfen an die Hand zu gehen, Hindernisse zu entfernen und durch anfängliche Beiträge die erforderlichen Veranstaltungen in den Gang zu bringen, dann aber ihre Leitung den Mitgliedern selbst vorzugsweise zu überlassen und nur mit Rath und Einsicht zur Seite zu stehen.

An der Spitze dieses Systems, als Patrone und hochherzige

  1. Wir gebrauchen das Wort Mechaniker in dem allgemeinen Sinn, den das englische Mechanics hat; es faßt alle in sich, die in irgend einem Zweig der Fabriken und Gewerbe beschäftigt sind.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_681.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)