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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

daß für einen Beitrag, den auch der ärmste Arbeitsmann bestreiten kann, Alle in dem Laufe eines Jahres so viele Bücher haben, als ihnen möglich ist, zu lesen. Die Herausgabe von Büchern in Heften unterstützt wesentlich diesen Plan; denn sie setzt die Mitglieder in den Stand, zu jeder Zeit den Anfang zu machen, ohne zu warten, bis so viel erspart ist, um in jeder Familie einen ganzen Band zu kaufen. Auf diese Art wurden in vielen Theilen Schottlands Kirchspielsbibliotheken (Parish libraries) errichtet. Sie rührten ursprünglich von den vermöglichern Klassen, namentlich den Pächtern, her; aber nachdem durch die Sammlung einiger Bücher der Grund gelegt war, überließen jene die Verwaltung den Lesern selbst, die sie nur zur Bezahlung eines Beitrags für die Unterstützung des Fonds und zum Ankaufe neuer Bücher veranlaßten. Nach einem ähnlichen Plan sind in einigen Theilen Englands unter den Landleuten solche Bibliotheken errichtet worden (Cottage libraries). Zu Taunton ist eine, zu welcher die Mitglieder nur einen Penny die Woche beitragen; die Zahl der Bücher, die im Laufe eines Jahres für 80 Personen angekauft wurden, beträgt mehr als tausend. Die einzigen Verwalter sind ein Kassier und Bibliothekar, welche jeden Samstag Abend an dem bestimmten Orte erscheinen, um die Bücher zu vertauschen und die Subscriptionen in Empfang zu nehmen. Der Plan, der auf Anrathen einsichtsvoller Freunde dieser Einrichtungen nun fast allenthalben befolgt wird, ist dieser: Man setzt einige allgemeine Bestimmungen über die Gattung der anzuschaffenden Bücher (nach den Bedürfnissen der einzelnen Gesellschaften) fest. Sodann läßt man jedes einzelne Mitglied, nach Maßgabe dessen, was es bezahlt, wählen, oder man läßt mehrere zusammentreten, um mit ihren vereinten Beiträgen ein Werk zu kaufen. Die reichen Patrone beschränken ihre Einmischung auf Geschenke von Büchern oder auf das ihren Geldbeiträgen angemessene Wahlrecht. Im Uebrigen überläßt man die Verwaltung ganz der Gesammtzahl der Mitglieder. Unter den vielen Societäten, die sich nach diesem Princip gebildet haben, zeichnet sich besonders die Agriculturlesegesellschaft [WS 1] (Agricultural Book society) in Haverfordwest aus.

Vor etwa zwölf Jahren wurde von S. Brown von Haddington ein eigner Plan in Ausführung gebracht, um vermittelst derselben Bücher der Reihe nach in allen Städten und Dörfern der Grafschaft Westlothian Unterricht und Belehrung zu verbreiten. Der Anfang wurde mit nur wenigen Büchern gemacht; allein jetzt sind es 19 wandernde Bibliotheken (itinerant libraries), jede von 50 Bänden, welche nach den verschiedenen Stationen umhergeschickt werden, und auf jeder eine gewisse Zeit verbleiben. Der Stationen sind 15; 4 von den 19 Bibliotheken sind stets in der bedeutendsten Stadt in Gebrauch, 2 in einer andern Stadt von einigem Belang, und auf jede der 13 andern Stationen kommt jedesmal Eine Bibliothek. Die Zahl der Leser ist 700 bis 800 und die Unkosten – nicht mehr als 60 Pf. St. das Jahr – werden von dem Ertrage einer Predigt, dem Verkaufe einiger Tractate und durch Subskriptionen gedeckt. Dieser Plan ist jetzt auch in Berwickshire von Herrn Buchan von Kelloe angenommen worden, mit der Aenderung jedoch, daß die laufenden Ausgaben von den Lesern selbst bestritten werden, die zwei Pence den Monat bezahlen und die Bücher wählen. Aus diesen Lesegesellschaften sind häufig wissenschaftliche Lehrinstitute entsprungen, wie wir bald sehen werden.

Was die so nöthige Rücksicht auf Zeitersparniß betrifft, führen wir vorzüglich folgende Vorschläge an, die sämmtlich mehr oder weniger in Ausführung gebracht worden sind.

Erstens: da wo eine gewisse Anzahl von Personen in demselben Zimmer arbeiten, und die Arbeit nicht mit Geräusch verbunden ist, schlug man vor, daß, während die Andern beschäftigt sind, Einer beständig lesen sollte. Wenn 24 Menschen beisammen sind, so würde diese Anordnung nur erfordern, daß jeder einen Extratag in 4 Wochen arbeitete, vorausgesetzt, daß das Lesen den ganzen Tag fortdauerte, was nicht der Fall seyn würde. Dabei könnten die besser Unterrichteten und Fähigeren den Unwissenderen [WS 2]sehr zu Hülfe kommen. Dieser Vorschlag, der an die Stelle der frivolen Gespräche, womit meistens die Fabrikarbeiter sich wechselseitig verderben, eine Art von wechselseitigem Unterricht setzt, trat jedoch meistens erst als Folge anderer Unordnungen ein, die wir sogleich erwähnen werden.

Ein zweiter Vorschlag betrifft Zusammenkünfte, die ein oder zweimal in der Woche statt finden, um sich über die gelernten Materien zu besprechen und Diskussionen zu veranlassen. Welch ein treffliches Hülfsmittel solche Zusammenkünfte bei jedem privat- oder anderweitigen Unterricht der arbeitenden Klassen sind, fällt in die Augen. Es versteht sich von selbst, daß unter den Mitgliedern solcher Gesellschaften eine gewisse Aehnlichkeit in der Lektüre und in dem Kreis ihrer Ideen herrschen muß. Dieser Vorschlag fand in England, wo die Gewohnheit der Diskussionen so allgemein ist, schnell Eingang. Bald wurden dergleichen Zusammenkünfte unabhängig von andern Einrichtungen angeordnet; der Vorsteher (chairman) liest nach und nach eine lehrreiche Schrift durch und jedes Mitglied hat die Erlaubniß, bei einzelnen Stellen Bemerkungen vorzutragen, die zu weitern Erörterungen Anlaß geben, oder der Gegenstand der Diskussion wird in der vorhergehenden Versammlung bestimmt. Meistens stehen jedoch diese Zusammenkünfte in irgend einer Verbindung mit den Lesegesellschaften oder Lehrinstituten. Die Meister fanden manchfache Veranlassung, diese Einrichtung zu unterstützen, durch Verwilligung einer Freistunde oder anderer Vergünstigungen in Bezug auf die Arbeitszeit, durch Einräumung eines schicklichen Locals, weil man es mit Recht durchaus unpassend fand, den Versammlungsplatz in Wirthshäusern zu nehmen, u. s. w.

(Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Agriculturlesegesellschft
  2. Vorlage: Uuwissenderen
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_690.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)