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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 167. 15 Juny 1828.

Volksbildung in England.


(Fortsetzung)

Ein dritter Vorschlag, der gleichfalls zum Theil schon in Erfüllung gegangen ist, betrifft die Abfassung von wissenschaftlichen Elementarwerken, die den Umständen, der Bildungssphäre und dem Bildungsgange der arbeitenden Klassen angemessen sind. Es ist nehmlich einleuchtend, daß schon Mangel an Zeit diesen einen streng wissenschaftlichen Gang unmöglich macht. „Die Mehrheit“ – sagt Brougham – „muß sich begnügen, nur einen gewissen Punkt zu erreichen und den kürzesten Weg zu diesem zu wählen. Einige werden freilich viel weiter dringen; aber die größere Anzahl muß einen andern Weg gehen. So ist es z. B. in der Geometrie nicht nöthig, all die einzelnen Glieder dieses schönen Systems, wodurch die allgemeinsten und tiefsten Wahrheiten mit den wenigen einfachen Definitionen und Axiomen verbunden sind, durchzulaufen; man hat genug erreicht, wenn die Lehrlinge die Natur der geometrischen Analyse begriffen, und die Haupteigenschaften der Figuren kennen gelernt haben. Ebenso mögen sie in der Mechanik, mit weit spärlichern Vorkenntnissen sowohl aus der Geometrie als auch der Algebra, unterrichtet werden, als man in den gewöhnlichen Elementarwerken bei dem Leser voraussetzt. Daher wird derjenige der Sache der Aufklärung einen sehr wesentlichen Dienst leisten, der seine Muße der Abfassung solcher Elementarbücher über Mathematik widmet, die hinlänglich klar sind, um die Beweisart, die in dieser Wissenschaft gilt, zu veranschaulichen, und hinlänglich compendiös, um eine genaue Kenntniß der nützlichsten Fundamentalsätze und ihrer Anwendung zu praktischen Zwecken mitzutheilen; – deßgleichen solcher Elementarbücher über die Naturwissenschaften, welche die Hauptsätze der Physik und ihre praktische Anwendung Lesern begreiflich machen, die nur eine allgemeine Kenntniß von der Mathematik haben oder auch sogar nur die gewöhnlichsten arithmetischen Regeln wissen. Auch lasse man sich nicht durch den Gedanken abschrecken, daß die auf eine solche Weise angewandte Zeit, doch auf weiter Nichts gerichtet sey, als das Volk in den Rudimenten der Philosophie [1] zu unterrichten, ob gleich dieß allein schon ein Ziel ist, das glänzend genug wäre, den edelsten Ehrgeiz zu reizen; denn wann arbeitete je die erhabenste Philosophie an einer höhern Aufgabe, als die Ansichten der großen Masse unsers Geschlechts zu erheben und ihren Charakter zu veredeln? – wenigstens in späteren Zeiten, wo die Wissenschaft nicht mehr, wie in dem Alterthum, mit jener stolzen und hochfahrenden Verachtung, meinend, große Geister allein gingen mit dem Körper nicht unter, auf die Menge herabblickt. Wenn aber die Erweitung der Grenzen der Wissenschaft selbst das große Ziel aller Philosophen aller Jahrhunderte wäre, so wird dieser Zweck zwar mittelbar aber sicher durch diejenigen erreicht, welche statt Eines, dem jetzt der Pfad der Forschung geöffnet ist, Tausende zum Spekuliren und Experimentiren anleiten. Es ist nicht nöthig, daß Alle, die unterrichtet werden oder auch nur ein großer Theil über die Rudimente hinausgehen; aber jeder, der Lust und Fähigkeit in sich fühlt, weiter zu dringen, wird und kann voranschreiten; und die Wahrscheinlichkeitsfälle zu Entdeckungen in den Künsten, wie in der Wissenschaft selbst, werden so ins Unendliche vervielfacht werden. Solche Entdeckungen in der That, die unmittelbar mit Versuchen und Beobachtungen zusammenhängen, werden gewöhnlich von Männern gemacht, deren Leben technischen Arbeiten gewidmet ist, die aber zugleich in den allgemeinen Principien, von denen sie abhängen, unterwiesen und frühe zum Nachdenken gewöhnt worden sind. Derjenige, welcher ein Werk abfaßt, das auf eine einfache, faßliche und bestimmte Weise die Lehren der Algebra, Geometrie und Mechanik entwickelt und ihren Zusammenhang mit andern Zweigen des Wissens und den Künsten des gemeinen Lebens durch treffende Beispiele erläutert, darf einen ansehnlichen Theil an jener reichen Ernte von Entdeckungen und Erfindungen fordern, die unfehlbar durch die Tausende scharfsinniger und thätiger Menschen, welche auf diese Art befähigt sind, ihre Geisteskräfte auf gleich nützliche und erhabene Gegenstände zu richten, heranreifen muß.

Obgleich viel durch die Bemühungen Einzelner geschehen kann, so ist doch offenbar, daß zur Förderung dieser wichtigen Arbeit weit mehr durch die vereinten Kräfte einer Gesellschaft bewirkt wird.

Um entweder durch Schriftstellerei eigentliches oder durch theilnehmende Geldhülfe mitwirkendes Glied dieser Gesellschaft werden zu können, sind weder hervorragende Talente und tiefe Gelehrsamkeit, noch große Reichthümer erforderlich. [2] Obgleich diese Gaben, in ihrem reichsten

  1. Es ist bekannt, daß Philosophie bei den Engländern oft weiter nichts als Naturwissenschaft bezeichnet.
  2. Es ist interessant zu bemerken, wie aus ähnlichen Bedürfnissen und Ansichten, wenn gleich im Uebrigen unter den
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_691.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)