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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

auch die Kraft des Guten. Und gar das Laster ist nicht immer Laster. Ich habe Weiber gesehen, auf deren Wangen das rothe Laster gemahlt war und in ihrem Herzen wohnte himmlische Reinheit. Ich habe Weiber gesehen – ich wollt’ ich sähe sie wieder! –

H. Heine.

Volksbildung in England.


(Fortsetzung.)

Als das vorzüglichste aller Mittel jedoch, um die Masse des Volkes schnell zu einer höhern Stufe intellektueller und sittlicher Cultur zu führen, fand man öffentliche Lehrvorträge, die man daher überall, wo es möglich ist, das heißt in allen Orten von einiger Bedeutung nach und nach zu Stande zu bringen bemüht ist. Dieses Mittel gewährt den arbeitenden Klassen mit der größten Zeitersparniß die gründlichste Belehrung; mit ihm können alle die übrigen Bildungsmittel verbunden werden und werden erst in dieser Verbindung recht fruchtbar; es ist endlich der geeignetste, oft der einzige Weg, Menschen, denen es an einer methodischen Vorbildung fehlt, in den Wissenschaften zu unterrichten. Nun erst wird der Lehrling in den Stand gesetzt, mit Vortheil zu lesen; Dinge, die kein Buch ihm hinlänglich erläutern kann, werden ihm auf genügende Art erklärt; der Zutritt zu Lehrern, der ihm eröffnet wird, verschafft ihm die Möglichkeit, sich durch mündliche Erläuterung, oft durch ein Wort, Schwierigkeiten lösen zu lassen, die sonst Tage lang seine Fortschritte würden gehemmt haben; endlich können in diesen Vorlesungen Dinge gelehrt werden, welche durchaus der anschaulichen Verdeutlichung durch Experimente bedürfen, um begriffen zu werden.

Durch diese großen Vortheile bestimmt, hat man auch da, wo man sich mit einem geringen Anfange begnügen mußte, zuletzt auf die Anordnung von Lehrvorträgen hingearbeitet. In vielen Fällen, begann man mit Errichtung von Lesegesellschaften und Bibliotheken und endete, wie der Eifer nach Unterricht und Belehrung wuchs, mit Vorlesungen, die sich auch den Umständen, der Zahl der Zuhörer und den Mitteln, die zu Gebot standen, vervielfältigen und so den unter dem Namen Mechanics Institutions so bekannten Lehrinstituten ihre Entstehung gaben.

Diese Institute sind die wichtigsten und bedeutendsten von allen Einrichtungen, die für Beförderung der Volkscultur in England getroffen wurden. Es sind Lehrinstitute, die vorzugsweise, jedoch nicht ausschließend, für Mechaniker (in dem oben erklärten Sinne des Wortes) bestimmt sind und durch Gesetze und eine geregelte Verwaltung den Charakter von organisirten Gesellschaften angenommen haben.

Wir wollen die Grundsätze und Ansichten zusammenstellen, nach denen in den meisten Fällen bei ihrer Bildung verfahren wurde.

Als Hauptgrundsatz nahm man an, daß die wesentlichen Kosten, welche diese Institute veranlassen, von den Mechanikern selbst, zu deren Besten sie errichtet werden, getragen werden müßten; ohne diese Anordnung werde weder ihre Unabhängigkeit hinlänglich gesichert noch möglich gemacht, daß sie tief Wurzeln fassen und sich allgemein genug verbreiten, um bleibende und bedeutende Resultate hervorzubringen. Das Geschäft der Reichen, die thätig mitzuwirken wünschten, glaubte man, müsse sich darauf beschränken, durch Aufmunterung, Rath und anfängliche freiwillige Beiträge die Errichtung solcher Institute zu veranlassen. Selbst in den Fällen, wo aufgeklärte und vaterländischgesinnte Männer unentgeltlich Unterricht ertheilten, hielt man für rathsam, mit dem Wachsthum der Anstalt eine angemessene Remunerazion zu geben, um so wohl das Princip der Unabhängigkeit unter den arbeitenden Klassen zu erhalten, als auch eine desto pünktlichere und regelmäßigere Haltung der Lehrvorträge zu sichern. Den Kostenbetrag im Durchschnitt gibt eine der oben angeführten Schriften folgendermaßen an: „Wenn man die von reichern Mitbürgern gespendeten Beiträge, auf die man im Anfange meistens rechnen darf und den ursprünglichen Ankauf des Apparats abzieht, mögen wir die jährlichen Kosten, die allein den Mitgliedern der Verbindung zur Last fallen, nach folgendem Ueberschlag ansetzen. Die Miethe einer Zimmers mag 30 ₤. St. betragen; die Besoldung des Lehrers 40 ₤.; Unterhaltung des Apparats 20 ₤.; Bedienung 10 ₤.; Sammlung und Verwaltung der Geldbeiträge 10 ₤.; Feurung und Licht 5 ₤.; nöthige Bekanntmachungen durch den Druck 15 ₤., in Allem 130 ₤. Wenn aber zwei oder drei Lehrkurse in demselben Zimmer gegeben werden, mindern sich die Auslagen für einen jeden verhältnißmäßig. Bei dreien z. B. werden die Kosten des Zimmers nicht mehr als 50 ₤., des Drucks etwa 20 ₤. und der Bedienung 30 ₤. betragen, so daß die Auslagen für jeden Kurs auf etwa 100 ₤. reduzirt werden. Jeder Kurs mach sechs Monate wöchentlicher Vorlesungen einnehmen; wenn folglich sich nur 100 Mechaniker finden, die wöchentlich einen Schilling ersparen können, ist es möglich, drei Lehrkurse, an denen jedes Mitglied Theil nimmt, zu Stande zu bringen. Diese Berechnung setzt indessen nur eine sehr unbeträchtliche Stadt voraus. In größern Städten, wo 500 bis 600 Personen sich vereinigen können, würden fünf Schilling vierteljährig hinreichen, drei oder vier Lehrkurse einzurichten und noch 150 bis 200 ₤. für den Ankauf von Büchern zu erübrigen.“

Die Anschaffung des Apparats für die Vorlesungen über Mechanik, Chemie, Physik u. s. w. sollte man denken, habe große Schwierigkeiten verursacht. Dies war allerdings Anfangs einigermaßen der Fall, indem natürlich die gewöhnlichen kostbaren Apparate die Mittel dieser Institute weit überstiegen. Indessen behalf man sich mit den wohlfeilsten Materialien und der einfachsten Maschinerie für die Experimente, jene großen Naturforscher, Black, Scheele, Franklin u. s. w., gleichfalls aus der Klasse der Mechaniker, nachahmend, bis der erfindungsreiche Geist der praktischen Britten

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_697.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)