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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 169. 17 Juny 1828.

Die Kaiserin von Haiti in Florenz

[1]


Die Via Cafciajuolo zu Florenz ist eine ungemein enge Straße; und da sie die Piazza Granduca mit der Piazza del Duomo verbindet, so ist sie die vollgedrängteste in der ganzen Stadt. Da sie überdieß noch mit einer Menge von kleinen Kramläden besetzt ist, so wird es beinahe unmöglich, bei einem Bekannten vorüber zu gehen, ohne an ihn anzustoßen; und man könnte schwerlich in der Welt einen Platz finden, der weniger geeignet wäre, einem alten Freund aus dem Wege zu gehen, den das unangenehme Gefühl einer Verbindlichkeit unserer Eigenliebe zuwider gemacht hätte. Diese Straße ging ich eines Tages so schnell hinab, als mir die Volksmenge gestattete; als die plötzliche Annäherung eines schwer mit Holz beladenen Barocchio mich beinahe in ein Ladenfenster hineindrückte und zu gleicher Zeit zwei Damen, die vor mir gegangen waren, mir in die Arme warf. Während ich mich so eng zusammenzog, als möglich, um Raum für sie zu machen, damit wir insgesammt unbeschädigt davon kämen; wurde ich in nicht geringes Erstaunen gesetzt, als eine der Damen, indem sie sich umkehrte, mir, statt eines weißen, ein schwarzes Gesicht zeigte und in sehr elegantem Französisch mir für meine Höflichkeit zu danken anfing. Aber wie viel größer war mein Erstaunen, als ich in der ältern Dame, die sie begleitete, (nicht weniger schwarz) keine geringere Person erkannte, als die Ex-Kaiserin von Haiti, Maria Theresia, die Gemahlin, oder vielmehr die Wittwe von Henri Christophe, „dem Großen“, Kaiser und König von Haiti, Vertheidiger des Glaubens und souveränen Großmeister des St. Henri Ordens. Dieß war gewiß ein merkwürdiges Zusammentreffen, und obwohl ich aus Erfahrung weiß, daß Florenz nach London oder Paris vor allen andern Städten der Platz ist, wo man darauf rechnen kann, Jedermann zu begegnen; und obwohl ich während meines Aufenthaltes darin beinahe alle Souveräne und Ex-Souveräne von Europa gesehen und Leute angetroffen habe, mit denen ich in allen Gegenden der civilisirten Welt Bekanntschaft gemacht hatte, so muß ich doch gestehen, daß ich eben so gut erwartet hätte, den Khan der Bucharei hier zu sehen, als die Exkaiserin von Haiti. Meine Neugierde war auf das höchste gespannt; denn ich hatte Ihre Majestät in glücklicheren Zeiten gekannt, und ihr Anblick unter so sonderbaren Umständen rief mir Gegenden und Personen in das Gedächtniß zurück, die ich längst aus meiner Erinnerung verloren hatte. In diesen Gedanken mich selbst vergessend folgte ich fast unwillkührlich meiner alten Bekannten eine enge Treppe hinauf in ein benachbartes Haus, ohne daran zu denken, daß ich kein Geschäft darin hatte und daher Gefahr lief, zur Thür hinaus geworfen zu werden. Ich fand indessen, daß es ein Ort war, wo Jedermann Zutritt hatte, eine Trattoria vom zweiten Rang, wo ich zu meinem zunehmenden Erstaunen die Kaiserin, die Prinzessin ihre Tochter – denn dieß waren sie wenigstens für mich – und eine café-au-lait-farbige Gesellschaftsdame sich an einem kleinen Tisch niederlassen und drei Portionen Maccaroni fordern sah. Ich nahm Besitz von einem Tische in der Nähe und that dasselbe, um Zeit zu Beobachtungen zu gewinnen, und den Wirth zu fragen, wie er dazu gekommen sey, so berühmte Gäste zu erhalten. Die „Mancia“ von einem Paolo verschaffte mir bald alle Nachrichten, die er zu geben hatte. Sie waren von einem Lohnbedienten, in seinem Interesse, in sein Haus gebracht worden und hatten täglich regelmäßig zur selben Stunde bei ihm gespeist und sehr freigebig bezahlt, was sie gehabt hatten. „Sie sind vornehme Leute, glaube ich, in ihrem Lande, sagte er, obwohl sie nicht von derselben Farbe sind, wie wir. Dieß ist das letzte Mal, daß sie hier speisen, und es thut mir in der That leid, sie zu verlieren, aber sie haben den ersten Stock von dem Marchese Guigni bei der Santa Felicita Kirche genommen.“ Dieß war Alles, was ich zu wissen brauchte; es freute mich, daß sie eine so gute Wahl getroffen hatten, und während der Wirth fortfuhr, sich in den heftigsten Vorwürfen gegen die Edelleute von Italien zu verbreiten, die sich so weit herabließen, Wohnungen zu vermiethen, faßte ich im Stillen den Entschluß, den Damen in ihrer Wohnung meine Aufwartung zu machen. Ich wollte das Unangenehme ihrer Lage, welches bereits hinreichend sichtbar war, durch eine öffentliche Wiedererkennungsscene nicht noch vermehren; auch wußte ich nicht, in wie ferne Ihre Majestät ihr Incognito beizubehalten wünschte; – daher hielt ich es für besser nach Hause zu gehen, und meinen Besuch auf den folgenden Tag zu verschieben.

Ich konnte an nicht Anderes denken, als an mein Abenteuer; der außerordentliche Unterschied der Lage, in welcher ich die dunkelfarbige Dame zuletzt gesehen hatte, von der, in welcher ich sie jetzt sah, drängte sich mit unwiderstehlicher Gewalt meiner Einbildungskraft auf. So gewöhnt wir auch in dem gegenwärtigen Zeitalter an die

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_699.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)
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