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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Grade durchlaufen hatte, wurde er endlich zum Sous-Chef befördert. Er hatte nun zwar blos einen einzigen Kanzlisten unter sich; von diesem forderte er aber Ergebenheit und Respekt für zehn, und alle Wischer, die einst über Visatout den Kanzlisten ergangen waren, mußte jetzt der arme Tropf sich mit Zinsen zutheilen lassen.

Als ich zwei Tage nachher dem neuen Sous-Chef begegnete, sah er verstimmt aus. „Ei, Sie haben ja Ihren Marschallstab bekommen, woher nun diese Wolken auf Ihrer Stirn?“

„Die Ehre hat ihre Dornen; seit ich Sous-Chef bin, träume ich von Nichts, als Absetzung. Ich sah so viele Leute von Verdienst ihre Stellen verlieren während der fünf Jahre meines Supernumerariats und während der zwanzig Jahre, die ich in der Schreibstube diene, daß ...“

„Gerade das muß Sie beruhigen; blicken Sie einmal um sich: stehen nicht die und die Herren fest?“

„Wohl, aber ohne Zweifel besitzen diese ein Mittel, das ich nicht kenne.“

„Haben Sie nicht eine Frau?“

„Die nicht mehr jung ist und nie hübsch war, und zum Unstern seit zwanzig Jahren das Gewerbe einer Solliciteuse treibt.“

„Wenn es so steht, mein lieber Herr Visatout, so schlafen Sie ruhig.“

„Kann man schlafen, wenn ein Untergebener sich gegen Einen verschwört?“

„Bah!“

„Er heirathet ein hübsches Ding: nun rechnet der Schelm auf meinen Platz.“

Ich verabschiedete mich von dem Sous-Chef, ohne seinen Kummer stillen zu können. Nachdem ich von ihm weg war, trat ihn ein schwarz gekleideter Mann an, der im Leichenton zu ihm sagte: „Ich gebe Ihnen zu bedenken, mein Herr, daß der verhängnißvolle Augenblick vielleicht näher ist, als Sie glauben.“

„Hatte ich doch eine Ahnung,“ erwiederte Visatout, dem die Absetzung nicht aus dem Kopf wollte.

„Bei Ihrer Ahnung werden Sie wohl auch Ihre Maßregeln darnach nehmen und sich mit der mäßigen Summe von fünf Francs Ihren Platz sichern.“

„Ich mir meinen Platz mit fünf Fr. sichern! Ich gäbe auf der Stelle hundert, wenn ...“

„Ja, mein Herr, Ihren Platz auf dem Kirchhof zu Mont Valerien, auf dieser Höhe, wie der hochberühmte Abbé de la Menais sich ausdrückt, wo Sie den Himmel näher haben, wenn die Trompete des jüngsten Gerichts erschallt, und wo Ihnen noch besondere Gebete zu Gut kommenm, von welchen die Nichts zu genießen haben, die sich auf dem profanen Felde des Pater Lachaise begraben lassen.“

Hr. Visatout war über die Rede ganz verdutzt und dachte, der Mensch müsse ein Narr seyn. Er wurde jedoch bald eines Beßern belehrt, als ihm der Schwarze sagte, daß er mit vielen andern eifrigen Dienern der Religion das Geschäft besorge, nach frommen Seelen zu gehen, um ihnen die Gräber zu Mont Valerien gegen den Preis von 5 Fr. zu vertheilen.“

„Sie sollen sich an mir nicht getäuscht haben,“ versetzte Visatour, „hier sind die 5 Fr. für meinen Platz auf Mont Valerien; aber, aufrichtig gesprochen, ich bin eigentlich noch mehr in Sorgen, meinen Platz als Sous-Chef zu sichern.“

„Das Eine schließt das Andere nicht aus,“ erwiederte der Schwarze, indem er einen forschenden Blick auf Visatout heftete; ein gutes Werk bleibt nie unbelohnt. Gehen Sie nach der Barrière d’Enfer; dort steigen Sie in ein Pot-de-Chambre [1] und schlagen die Straße nach Bicetre ein; gegenüber diesem Haus der Narren sehen Sie das Haus der Weisen, insgemein Montrouge genannt; Sie treten keck ein und sagen, daß Sie von Bruder Doucet kommen und den Pater Candide zu sprechen wünschen; diesem tragen Sie ihr Anliegen vor.“

(Fortsetzung folgt.)


Die Kaiserin von Haiti in Florenz.


(Fortsetzung.)

Christoph selbst war ein wunderbarer Mann. Seine Geschichte ist zu allgemein bekannt, um einer Erläuterung und sein Fall zu neu, um einer Wiederholung zu bedürfen. Er war einfach und anständig (gentleman-like) in seinem Aeußeren, etwas zur Corpulenz geneigt, und man hätte das Wohlwollen, das er zeigte, an einem Neger außerordentlich finden können. Ich habe mehrfach die Bemerkung machen gehört, daß er eine sehr starke Aehnlichkeit mit dem verstorbenen König von England, Georg dem III, hatte, natürlich die Farbe und das Negerartige in den Gesichtszügen ausgenommen, und daß er dieß durch seine Kleidung auf jede Weise zu vermehren suchte. Er trug gewöhnlich einen blauen Rock mit rothem Kragen und Aufschlägen, völlig nach dem Schnitt der alten Uniform zu Windsor, einen Stern auf der linken Brust und

  1. Ein schwerfälliges, zweirädriges Fuhrwerk, auch coucou genannt, dessen sich der Pariser von gemeinem Stand bei seinen Landpartien bedient. Die Plätze im Gefährt heißen die Kaninchen-Plätze (places de lapin), die auf dem Bock oder auf dem Imperiale die Affenplätze (places de singes) – daher sagt man voyager en lapin, en singe. – „Mensch, habt ihr keinen Platz in eurem Kasten?“ „Nein, Abbé!“ „Ihr könntet etwas artiger seyn; das Wort Herr wird euch nicht das Maul zerreissen.“ „Ihr nennt mich Mensch, als ob ich ein Ecce homo wäre; ich nenne euch nur Abbé.“ „Unverschämter!“ „Nun, Herr Abbé, mein Wagen ist voll, alle Kaninchenplätze sind besetzt; ich kann euch nur einen Affenplatz anbieten. Wollt ihr?“ „Elender, ich werde dich der Polizei empfehlen.“ Der Abbé, roth vor Zorn, zog seine Schreibtafel aus der Tasche, und notirte die Nummer des Pot de Chambre. –
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_704.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)