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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 172. 20 Juny 1828.

Scenen aus dem politischen Leben in Frankreich.


(Fortsetzung.)
Wie man nichts als brauchbar zu seyn braucht, um schnell befördert zu werden.

Aber wer ist das wichtige Wesen, das vor mir auf die Tuillerien zu stolzirt, den Kopf zwischen den Schultern wiegt und die Backen aufbläst, daß ich sein Schnauben höre? – Hm! der Mann schnäuzt sich wie ein Bischof, hustet wie ein Deputirter, spuckt wie ein Minister! – Mit einem Male pflanzt sich die ehrfuchtgebietende Gestalt auf, und mit einem musternden Blick, den sie über den Horizont laufen läßt, als ob sie eine Domäne inspizirte, dreht sie sich um und vor mir steht – Visatout, weiland mit dem abgeschabten Rock und dem gebückten Klientengang, jetzt in ein prachtvolles Ternaux-Tuch drapirt.

„Was! Sie sind es, mein lieber Sous-Chef!“ Bei dieser Betitlung verbreitet sich eine leichte Röthe über Visatout’s Gesicht, mühsam hebt er den Arm auf und reicht mir mit der herablassenden Herzlichkeit eines Großen – seinen Zeigefinger.

„Ja, ich war Sous-Chef und schäme mich dessen nicht.“

„Es ist noch nicht so lang.“

„Wohl. Eine übertriebene Bescheidenheit hatte mich abgehalten, auf den Posten Anspruch zu machen, zu welchem mich meine Talente berechtigen; wenn mir mein Secretär seine Arbeit zur Unterschrift bringt, so versichert er mich, daß ich eine ungemeine Gewandtheit in der Ausfertigung von Geschäften besitze.“

„Sie wären schon Minister?“

„Noch nicht so recht. Ich bin gegenwärtig Divisions-Chef oder Unterminister und Staatsrath.“

„Es freut mich, ich hoffe Sie bald Excellenz zu begrüßen.“

„Nein, mein Lieber, ich werde diesen Posten nicht annehmen. Sehen Sie, es ist eine Verantwortlichkeit damit verbunden, welche ... , kurz eine Verantwortlichkeit ...“

„Die nicht so schrecklich ist.“

„Soll ich offen mit Ihnen reden?“

„Sie sind ja noch nicht Minister.“

„Je nun, ich liebe die Art nicht, wie man mit dem Ministerium verfährt; über das Gebelfer des Neids und des Mißvergnügens würde ich mich hinwegsetzen. Die Nachtigall singt trotz dem Quacken der Frösche und dem Krächzen der Raben. Der Minister ist die Nachtigall; die Raben, die Frösche sind ... Allein, was mich am Meisten ärgert, ist die Gemeinheit, wie man mit Männern, die nur das allgemeine Beste wollen, um ein paar lumpige Millionen mehr oder weniger knickert.“

„Sie haben Recht, das ist eine Schande.“

„Noch mehr (mit dem Ton eines Schauspielers, der wieder in seine Rolle fällt), um Minister zu werden, hat es bei mir ein Hinderniß, das ist meine Unfähigkeit.“

„So lassen Sie sich zum Deputirten wählen?“

„Meine Stimme wäre dort überflüssig; ich wünsche mir einen Posten, der mir möglich macht, ganz meinen Pflichten gegen Thron und Altar zu leben.“

„Einen solchen Posten gibt es nur nicht.“

„Noch nicht, aber ... Wünschen Sie mir Glück zu den Segnungen, welche die Vorsehung über meine Familie ausschüttet. Drei von meinen Kindern bekleiden Stellen, wo sie der Regierung und dem Staate sehr nützliche Dienste leisten. Meine Tochter Ursula ist Vorsteherin mehrerer Erziehungshäuser im Gard-Departement, wo sie an der Bekehrung junger Protestanten arbeitet. Mein Sohn Innocenz hat sich in verschiedenen Missionen ausgezeichnet ... “

„In China?“

„Nein.“

„In Japan?“

„Mit Nichten.“

„Also gewiß in der Türkei?“

„Nichts von Allem, sondern in der Normandie. Mein Sohn Innocenz, sage ich Ihnen, hat die Zusicherung eines Bisthums erhalten; denken Sie sich mein Glück, einen Sohn zu haben, der mich firmeln kann. Endlich mein Sohn Hercules ist Präfekt. Er war kaum einen Monat Unterpräfekt, als man ihm eine Oberbeamtung versprach; er wartete nur auf die Erledigung einer Präfektur. Und nun preisen Sie mit mir die Wege der Vorsehung, wie es sich so wunderbar fügte, daß gerade sein Präfekt es seyn mußte, der die Missionäre nicht ganz höflich aufnahm und folglich abgesetzt wurde; man sagt, dieser Beamte habe sich in der Verzweiflung eine Kugel durch den Kopf geschoßen. Diese Ereignisse sind ein rechtes Glück für meine Familie! Gegenwärtig befinden sich alle meine Kinder auf Urlaub hier. Welches Glück! Meine Zufriedenheit wäre vollkommen, wenn nur auch mein Benedikt eine guten Platz hätte; denn ich liebe diesen Sohn wie Jakob seinen Benjamin, weil er mein jüngster ist.“

„Und warum sollte Ihr Sohn Benedikt nicht auch irgend eine einträgliche Bedienstung bekommen können?“

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_711.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)